Nikolaus Reuter

sieht als Gründer der Etengo (Deutschland) AG im Freelancing einen Megatrend und in flexiblen Einsatzszenarien einen elementaren Baustein künftiger Erwerbsmodelle.

Arbeitsmarktpoltisches Alzheimer –

oder wie die Politik als Bewahrer antiquierter Ansätze die Zukunft der deutschen Wirtschaft aufs Spiel setzt! Personalexperte Nikolaus Reuter fordert mit deutlichen Worten politische Weichenstellungen für flexible Arbeitsmodelle, die auch die Lebenswelt von Freiberuflern berücksichtigt und auch die Expertise von älteren Mitarbeitern wertschätzt. Eine Rente mit 63 hält er für eine “gedankliche Schnellstraße” in den Müßiggan.

Die Arbeitswelt – und das ist längst kein Geheimnis mehr – verändert sich aktuell radikal. Führende Arbeitsmarktforscher in ganz Europa beobachten und attestieren den größten Transformationsprozess seit Menschengedenken. Erwerbs- und Lebensmodelle werden neu definiert, Unternehmensgrenzen verflüssigt und die projektbasierte Organisation innerhalb und zwischen Unternehmen wird zur neuen Normalität. Die Tendenz zur Flexibilisierung von Erwerbs- und Lebensmodellen ist, insbesondere in der wirtschaftlich hochrelevanten Informationstechnologie und generell im Bereich der hochqualifizierten Wissensarbeiter, stark steigend.

Die deutsche Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren, sozusagen “klammheimlich”, der starren, verkrusteten Strukturen vergangener Jahrzehnte entledigt und agiert heute bereits hochgradig digital, vernetzt, mobil und eben projektbasiert. Durch den zunehmenden Anteil temporär Beschäftigter und projektbasiert im Einsatz befindlicher externer Experten, zum Beispiel in Form von hochqualifizierten Freelancern beziehungsweise Solo-Selbstständigen, verändern sich die Rahmenbedingungen grundlegend. Die stark arbeitsteilige, hochspezialisierte und extrem wissensbasierte Projektwirtschaft ist als Megatrend bereits Realität.

Während Unternehmen und hochqualifizierte Wissensarbeiter diese Veränderungen und ihre Chancen längst erkannt und sich bereits erfolgreich den Herausforderungen eines insgesamt volatileren wirtschaftlichen Umfelds angepasst haben, verharrt ein Großteil der politischen Klasse in nostalgischen, überalterten Konstrukten und Lösungsansätzen.

Die Politik nimmt sich dieser überaus relevanten Thematik bestenfalls halbherzig an, schlimmer noch, sabotiert die Projektwirtschaft, indem sie moderne, hochbezahlte Wissensarbeit allzu oft negiert und in eine “Schmuddelecke” oder absurde Schutzbedürftigkeit argumentiert.

Wer eine leistungsfähige, erfolgreiche, gesunde und moderne Dienstleistungswirtschaft in Deutschland möchte, muss sich mit der Relevanz und Existenz der hochqualifizierten freiberuflichen Leistungsträger, die aktuell und in Zukunft maßgeblich an der Gestaltung des wirtschaftlichen Erfolgs unseres Landes beteiligt sein werden, aktiv und konstruktiv auseinandersetzen. Denn eine stiefmütterliche Behandlung der hochqualifizierten Solo-Selbstständigen wird uns leicht ein schmerzhaftes  Stück Zukunft kosten.

Die gesellschaftspolitische Lösung kann in keinem Fall eine Rückorientierung in die gute alte Vergangenheit sein. Altgediente Instrumente und rückwärtsgewandte Modelle der sozialen Sicherung, die für eine Erwerbswirtschaft anderen Zuschnitts – nämlich fast ausschließlich basierend auf dauerhaft Festangestellten konzipiert wurden – können und dürfen nicht einfach mit dem Vorschlaghammer auf neue Realitäten gezimmert werden.

Zusätzliches irrationales Gebaren zeigt die große Koalition am Beispiel der Einführung der Rente mit 63. Mit diesem Modell wird einem Großteil hochqualifizierter Wissensträger zusätzlich noch eine “gedankliche” Schnellstraße in den Müßiggang aufgezeigt. Überhaupt ist vorzeitiger Ruhestand gerade Trend! Wer etwas auf sich hält, geht so früh wie möglich in Rente und genießt jeden zusätzlich gewonnenen Tag, ganz gleich ob abschlagsfrei oder nicht. Dabei helfen Lebensarbeitszeitkonten, Altersteilzeit und andere – teils betriebsindividuelle –  Modelle, die allesamt signalisieren, dass man heute eher früher als später in die Rente gehen kann beziehungsweise soll.

Wer die Arbeitsleistung dieser Experten in Zeiten des Fachkräftemangels künftig erbringen soll, daran wird offenbar kein einziger  Gedanke verschwendet. Ein Großteil der heute noch in den IT-Abteilungen festangestellten Informatiker, die in der ersten IT-Welle der 70er und 80er Jahren ins Erwerbsleben eingetreten sind, dürfte demnächst das Renteneintrittsalter erreichen oder sich zumindest aktiv damit auseinandersetzen, zu welchem Preis man selbst “en vogue” sein könnte.

Angesichts dieses in Deutschland beobachtbaren politischen “Kurzzeitgedächtnisses” – mit Folgen zu Gunsten der amerikanischen IT- und Innovationswirtschaft –  erhärtet sich der beängstigende Verdacht, dass die deutsche Arbeitsmarktpolitik an fortschreitender Demenz krankt, offensichtlich unfähig ist logisch zu denken und jegliche Urteilsfähigkeit eingebüßt hat.

Ein gewisser Hoffnungsschimmer in Sachen Arbeitswelt der Zukunft hat sich erst kürzlich in Form von Bundesministerin Andrea Nahles und ihrem Grünbuch mit dem zukunftsmusikspielenden Titel “Arbeiten 4.0” materialisiert. Bleibt zu hoffen, dass Regularien in Bezug auf jenes Arbeiten 4.0 dann im Dialog beziehungsweise enger Abstimmung mit betroffenen Unternehmen erfolgen und einfache, praktikable Lösungen gefunden werden. Denn ein weiteres Bürokratie-Monster mit überbordender Dokumentationspflicht braucht niemand!