Oliver Tuszik

ist CEO und Vorstandsvorsitzender des IT-Dienstleisters Computacenter sowie Mitglied im Bitkom-Präsidium.

Frauen verdienen mehr als eine Quote

Wenn es um Menschen in der IT geht, hat sich das Bild des männlichen Eigenbrötlers inmitten fettgetränkter Pizzakartons in vielen Köpfen festgesetzt. Mit der Realität hat das nichts zu tun. Dennoch stimmt silicon.de-Blogger Oliver Tuszik unter anderem ein Blick auf den Hauptvorstand des Branchenverbands Bitkom nachdenklich.

Die IT-Branche braucht mehr Frauen. Darin sind sich Branchenvertreter, Regierung und Medien einig. Nach Angaben des VDI fehlen im IT-Umfeld rund 16.500 Fachkräfte – Tendenz steigend. Allein unser Unternehmen sucht derzeit mehr als 350 qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, rund acht Prozent unserer Stellen sind nicht besetzt. Können Unternehmen es sich vor diesem Hintergrund leisten, auf das Potenzial weiblicher Mitarbeiter zu verzichten? Wohl kaum. Und wir wollen es auch nicht. Das Problem ist nur: Woher soll der Zuwachs an Bewerberinnen kommen?

Laut dem MINT-Trendreport 2011 des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln war im Jahr 2009 nur jeder dritte Studienabgänger in den sogenannten MINT-Fächern weiblich. Der Fachbereich Informatik lag hier sogar noch deutlich darunter: Nach einer vorläufigen Erhebung des statistischen Bundesamts für das Studienjahr 2010 waren nur 19,4 Prozent der Studienanfänger Frauen, in IT-Ausbildungsberufen liegt der Anteil laut Bitkom sogar nur bei neun Prozent. Was den Gesamtanteil an weiblichen IT-Experten in Deutschland betrifft, liegen wir nach einer Analyse der Personalberatung Kienbaum derzeit bei 17 Prozent. Und auch wenn Initiativen wie der heutige Girls’ Day hier entgegensteuern, ist für die kommenden Jahre keine drastische Veränderung zu erwarten.

Vor diesem Hintergrund wirkt die aktuell kontrovers diskutierte Forderung nach einer Frauenquote von 30 bis 40 Prozent realitätsfern – zumindest für unsere Branche. Anders gesagt: Wären wir rein rechnerisch in der Lage, sie zu erfüllen, hätten wir ein Problem weniger. Aber ungeachtet des Rechenbeispiels: Ein branchenunabhängiges Patentrezept zur Steigerung des Frauenanteils ist sicherlich schwer zu finden. So gibt es aus dem europäischen Ausland, etwa aus Norwegen, Spanien oder den Niederlanden, durchaus positive Erfahrungen mit der Frauenquote. Und tatsächlich braucht es häufig einen Impuls von außen, um starr gewachsene Hierarchiekonstrukte aufzubrechen.

Andererseits stellt sich die Frage: Ist eine Quote nicht einfach eine andere Form der Diskriminierung? Wer möchte Gefahr laufen, als “Quotenfrau” zu gelten, oder mit Blick auf andere Branchen, wer als “Quotenmann”? Anstatt darauf zu setzen, Frauen anders zu behandeln, sollte die Lösung schlicht lauten: gleiches Recht für alle – konsequent und auf allen Ebenen. Das betrifft sowohl die Gehaltsspannen als auch eine Gleichbehandlung bei allen internen Prozessen.

Bei Computacenter sind 20 Prozent der Belegschaft weiblich, außerdem sind 20 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt. Auch wenn es sich dabei nicht um eine Zahl handelt, die uns zufrieden stimmt: Wir liegen damit deutlich über dem von Kienbaum ermittelten Branchen-Durchschnittswert von sechs Prozent. Und wir liegen klar vor der Deutschen Telekom, deren Gesamtanteil an weiblichen Führungskräften nach WDR-Angaben ein Jahr nach Einführung der selbst auferlegten Quote (30 Prozent bis 2015) bei gerade einmal 13 Prozent liegt.

Zwei Dinge lassen sich daraus schließen. Erstens: Wir haben noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns. Und zweitens: Eine Quote – sei sie freiwillig oder per Gesetz vorgeschrieben – ist leider kein Garant für einen durchschlagenden Erfolg.

Wo muss also angesetzt werden? Zum einen gilt es, Klischees den Kampf anzusagen – wenn es um Menschen in der IT geht, müssen wir weg vom stereotypen Bild des männlichen Eigenbrötlers inmitten fettgetränkter Pizzakartons. Obwohl es kaum weniger mit der Realität eines IT-Consultants oder einer Service Managerin zu tun haben könnte, hält sich dieses Image hartnäckig. Selbst im Kino beschränkt sich die Darstellung von IT-Leuten meist auf Nerds oder kriminelle Hacker – und abgesehen von Stieg Larssons Lisbeth Salander ist mir aktuell auch keine Frau bekannt. Dass es sich bei ihr nicht um die typische IT-Expertin handelt, werden wahrscheinlich 99 Prozent der Computacenter-Mitarbeiterinnen genauso sehen.

Fest steht: Die IT-Branche gilt traditionell als Männerdomäne, die für Frauen wenig attraktiv ist. Und, zugegeben, ein Blick auf den Hauptvorstand unseres Branchenverbands, in dem ich Mitglied bin, liefert leider auch keinen Gegenbeweis. Um dieses Bild langfristig aufzubrechen, muss man bereits an Schulen beginnen, Schülerinnen (und Schüler!) mit einem realistischen Bild unserer Arbeit vertraut zu machen und für Hightech-Berufe zu begeistern. Maßnahmen können hier von Tagen der offenen Tür über Praktika bis hin zu Präsentationen in Schulen gehen – ein Beispiel dafür sind unsere IT-Scouts, die als Botschafter der ITK-Branche in Bildungseinrichtungen unterwegs sind, um dort über Ausbildungsmöglichkeiten und Berufsperspektiven zu informieren. Wichtig ist, dass sich mehr junge Menschen für ein Studium der naturwissenschaftlich-technischen Fächer entscheiden.

Zum anderen müssen wir erreichen, dass Familie und Berufsleben besser miteinander vereinbar werden – und zwar sowohl für Männer als auch für Frauen. Auf diese Weise können wir einen Beitrag dazu leisten, traditionelle Rollenbilder aufzubrechen und Frauen, beispielsweise nach der Geburt eines Kindes, einen früheren Wiedereinstieg zu ermöglichen. Denn – Quote hin oder her – der eigentliche Karriereknick erfolgt bei Frauen häufig dann, wenn es heißt: Kinder oder Karriere.

Hier sind Gesellschaft und Unternehmen gefragt, aus dem “entweder oder” ein natürliches “sowohl als auch” zu machen. Die IT-Branche ist hier aus meiner Sicht sehr weit vorn, gerade wegen der naheliegenden technischen Möglichkeiten für ein mobiles Arbeiten. Stellt man beispielsweise die Berufsbilder IT-Managerin und Klinikärztin gegenüber, wird schnell deutlich: In puncto Familienfreundlichkeit haben wir weitaus bessere Voraussetzungen, als viele andere Branchen – und nutzen diese auch.
Computacenter setzt hier unter anderem auf das Angebot des pme Familienservice, das Hilfe in verschiedenen Lebensphasen von der Kinderbetreuung bis hin zu Pflege der Eltern umfasst. Für uns als dezentral aufgestellter IT-Dienstleister ist dies eine gute Möglichkeit, unsere Mitarbeiter bei der Vereinbarkeit von Berufs-und Privatleben zu unterstützen.

Betriebliche Initiativen wie diese reichen jedoch noch lange nicht aus. Denn in puncto Kinderbetreuung müssen auch politische Weichen gestellt werden – und zwar dringend. Der Blick auf das Ausland zeigt, dass uns Länder wie Schweden oder Frankreich in Sachen Betreuungsinfrastruktur seit langem weit voraus sind und es durchaus funktionierende Modelle gibt. Positiver Nebeneffekt einer solchen Familienpolitik: steigende Geburtenraten, beispielsweise in Frankreich. Solange sich Deutschland in Sachen Familienfreundlichkeit nicht deutlich verbessert, ist unsere Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Hier sind Unternehmen, Politik und Gesellschaft aufgerufen, Worten auch Taten folgen zu lassen und für eine langfristige Veränderung zu sorgen!



  1. Frauen verdienen mehr als eine Quote
    Ja, Oliver Tuszik, sie verdienen mehr, aber mit der Quote (Zielmarke, Ziele oder wie wir es imer nennen) wäre schon viel getan. Sie meinen bestimmt nicht ernsthaft, das alle (männlichen) Vorstände, Geschäftsführer, Top-Manager selbst ein IT-Studium hinter sich gebracht haben, oder?

    Sie sind auch Wirtschaftswissenschaftler, Juristen, MBAler, BAler Wirtschaft und vieles andere mehr. Sie leiten u.a. den Vertrieb, die Personalabteilungen, die Marketingstrategie. Klar, es sind noch nicht so viele Absolventinnen in der Informatik oder der Elektrotechnik. Aber immerhin schon knapp 20 Prozent Absolventinnen im Maschinenbau! Und eine ganze Menge Mathematikerinnen und schon seit einigen Jahren 20 Prozent Physikerinnen unter den Absolventinnen der Hochschulen.

    Wie viele davon sehen wir denn in den Vorständen von BITKOM, dem VDI, dem VDE und vielen anderen mehr??? Warum gibt es keine konkreten Zielmarken für alle die, die seit Jahren keine einzige Frau in ihre Fürungsebenen gebracht haben?

    Also, nicht allgemein über Quoten klagen (ja, es lässt sich wirklich prima Stimmung damit machen!), sondern konkret im eigenen Verein anfangen. Ich halte Prof. August Scheer für so gut vernetzt, das er dies umgehend umsetzen kann – wenn er will!!!
    Die besten Wünsche für die Weiterarbeit!

  2. Frauenquote
    … das habe ich schon immer als nahezu persönliche Beleidigung empfunden.
    Ich kann was ich kann aus eigenen Kräften und nicht weil ich Teil eines fiktiv angesetzten Prozentsatzes bin. So ein Blödsinn!!!
    Ich bin schon seit 1980 mit Computern zugange und könnte noch heute mit Dos-Befehlen Dateien kopieren. In der Branche hatte ich immer das Gefühl, dass Frauen das Gleiche zugetraut wird, wie Männern. Vor 30 Jahren war das noch eine Seltenheit. Vor 30 Jahren konnte sich auch kein Mann vorstellen, eine Babypause zu machen. Das ist heute inzwischen auch in den Köpfen der Männer und Manager angekommen. Mich freut diese Entwicklung und Sie sprechen mir mit Ihrem Artikel aus der Seele.
    Allerdings denke ich, dass uns Frauen auch einfach unsere Natur einen Strich durch die Karriere macht. Beruf und Kind ist halt immer ein schwieriges Geschäft und da wir Frauen nun mal die sind, die Kinder bekommen, wird es das auch bleiben. Sicher kann man an den Betreuungsangeboten vieles verbessern, man könnte auch die Lehrer besser ausbilden, dass sie den Erziehungsauftrag zusammen mit den Eltern erfüllen und man könnte Männer in Sachen Kindererziehung noch stärker in die Verantworung nehmen. Dennoch bin ich sicher dass das alte Bild "… und drinnen waltet die tüchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder … " einfach so tief in den Köpfen und vermutlich auch in den Genen verankert ist, dass sich auch mit Frauenquoten die Prozentzahlen nicht maßgeblich erhöhen lassen.
    Aber ich bin sehr dafür, dass die Leistungen von Mann und Frau gerecht und angemessen bewertet werden und es ist für mich keine Frage, dass ein Programmierer nicht mehr verdienen darf, als eine Programmiererin.
    Und ich denke, Frauen, die sich für die Kinder entscheiden sind in unserer Gesellschaft nicht weniger wert, als solche, die Karriere machen. Die Leidtragenden von Karriere sind leider sehr häufig die Kinder, das weiß Frau und das macht das Spiel "Gleichberechtigung" zusätzlich schwer.
    Es bleibt weiterhin spannend