Dr. Clemens Plieth

ist Managing Director Service Delivery bei Pironet NDH Datacenter. Virtualisierung, Storage, Rechenzentren und Netzwerke sind seine Spezialgebiete.

HTML5: Eine Revolution?

Dank der neuen Web-Sprache könnte ein Großteil der Millionen mobilen Apps ähnlich schnell vom Markt verschwinden, wie er gekommen ist, sagt silicon.de-Blogger Dr. Clemens Plieth.

Nicht nur Web-Entwickler blicken enthusiastisch auf die Veränderungen, die der neue Web-Standard HTML5 mit sich bringen wird. Auch Technologieunternehmen machen sich Gedanken über den nächsten Meilenstein in der IT-Welt. Was also steckt hinter HTML5?

Auf den ersten Blick klingt der Name mit der Versionsendung “5” nach nichts anderem als einer neuen Version einer Web-Programmiersprache. Dass es anscheinend vier vorherige Versionen gegeben hat, dürfte bis auf Web-Entwicklern, die sich täglich mit der Materie auseinandersetzen, nicht sonderlich aufgefallen sein. Das wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nun grundlegend ändern. Denn HTML5 hat das Zeug, die Grenzen zwischen den mobilen und stationären Anwendungswelten verschwinden zu lassen. Auch könnte die Web-Sprache bestehende Übergangstechnologien wie Browser-Plug-ins über kurz oder lang nutzlos machen. Und ein Großteil der Millionen mobilen Apps könnte ähnlich schnell vom Markt verschwinden, wie er gekommen ist.

Das Schweizer Taschenmesser der Programmiersprachen

Warum das so ist, zeigt ein kurzer Überblick über das, was HTML5 im Vergleich zu bisherigen Web-Standards leistet. So ist der Name in der Tat etwas irreführend. Denn HTML5 ist nicht einfach eine neue Version von HTML. Es verknüpft die Web-Programmiersprache mit bestehenden Technologien wie CSS3 und JavaScript. Damit wird es möglich, direkt in einer Web-Oberfläche Funktionen darzustellen, die bislang nur nativen Anwendungen vorbehalten waren und durch Plug-ins realisiert werden konnten. Auch bringt HTML5 eigene Grafikschnittstellen – Canvas und SVG – mit. Darüber hinaus lassen sich Audio- und Videodateien einbinden und ohne Zusatzsoftware abspielen. Die Technologien können untereinander verknüpft werden. So lassen sich beispielsweise Videos oder Fotos mit zahlreichen Effekten versehen. Kostproben gibt es hier. (Voraussetzung ist ein aktueller Browser.)

Anders gesagt: Der Browser wird ohne jegliche Erweiterung zum universellen Instrument für unterschiedlichste Anwendungsszenarien. Video, Audio und andere Funktionen in Websites einzubinden, war bislang zwar auch möglich. Realisiert wurde das allerdings immer über Plug-ins wie Adobe Flash oder Microsoft Silverlight. Derartige Plug-ins waren nötig, weil HTML ursprünglich nur für die Darstellung von Texten gedacht war. Das Web hat sich jedoch über die Jahre weiterentwickelt. Bewegtbilder sind heutzutage etwa Bestandteil nahezu jedes News-Portals.

Der App-Schwund kommt

Wer in den letzten Jahren ein iOS-Gerät verwendet hat, wird sich über die fehlende Möglichkeit geärgert haben, Flash-Inhalte darzustellen. In seinem ungewöhnlichen Brief “Thoughts on Flash” machte sich Steve Jobs im April 2010 bereits für HTML5 stark. Er prophezeite, dass Technologien wie Flash in Zukunft durch HTML5 abgelöst werden. Und tatsächlich: Im November 2011 gab Adobe bekannt, dass das Unternehmen keine neuen Versionen seines Flash-Players für mobile Browser mehr entwickeln würde.

Ironischerweise könnte diese Entwicklung dazu führen, dass der Siegeszug der mobilen Apps einen Rückschlag erlebt. Schließlich tun viele der kleinen Programme nichts anderes, als die Funktionen einer Website auf das mobile Gerät anzupassen, sodass sie leichter zu bedienen und schneller sind. Eine Website aber, die von vornherein in HTML5 programmiert und für verschiedene Auflösungen angepasst ist, kann ihre Stärke auch auf mobilen Endgeräten ausspielen, die die Web-Sprache unterstützen. Aufwendige Grafikanwendungen wie etwa Spiele gehören natürlich nicht zu dieser Kategorie. Und so werden zahlreiche mobile Apps aller Voraussicht nach auch in Zukunft ihre Berechtigung haben. Ein Großteil aber wird verschwinden.

Viele Unternehmen fragen sich derzeit, auf welcher mobilen Plattform sie mit Apps vertreten sein sollten. Mit HTML5 wird diese Frage zunehmend überflüssig. Denn gut programmierte HTML5-Seiten können ein über alle Plattformen und Endgerätetypen hinweg universelles Anwendungserlebnis kreieren. Ob ihr Dienst dann von einem PC, Mac, Tablet oder Smartphone mit Betriebssystem X oder Y aufgerufen wird, ist egal. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat beispielsweise noch nie richtig an die Welt der mobilen Apps geglaubt. Und so dauerte es mehr als ein Jahr, bis Facebook eine eigene App für das iPad herausbrachte. In Zukunft wird sie vielleicht wieder überflüssig sein.

Das Ende des Plattform-Kriegs?

Was aber bedeutet diese Entwicklung für Geschäftsanwendungen, neudeutsch auch Business-Apps genannt? Für sie wird vor allem eine Neuerung, die HTML5 mit sich bringt, entscheidend sein: So ist der Web-Standard in der Lage, Dateien lokal auf dem Rechner zu speichern und Cloud-Anwendungen auch offline verfügbar zu machen. Dem Gegenargument für reine Cloud-Anwendungen – ‘Nix funktioniert mehr, wenn die Internetverbindung ausfällt’ – nimmt die Technologie damit den Wind aus den Segeln.

Cloud-Applikationen haben es damit noch einfacher, sich in der Geschäftswelt durchzusetzen. Auch steht die Frage im Raum, warum einfache Applikationen – etwa für die Buchhaltung – ein eigenes Interface mitbringen und lokal auf jedem Rechner installiert werden sollten, wenn selbiges ebenso gut mit einer HTML5-Anwendung realisierbar ist.

Noch ist HTML5 allerdings nicht fertig. Erst 2014 soll es so weit sein. Seinen Siegeszug hat die Technologie aber schon jetzt angetreten: So nutzen bereits heute etwa ein Drittel der beliebtesten Internetseiten die bisherige, nicht fertige Version der neuen Web-Sprache. Und unter den Voraussetzungen, die HTML5 mit sich bringt, wird wahrscheinlich nicht mehr allzu viel Zeit vergehen bis sich die Technik zum Quasi-Standard bei IT-Anwendungen entwickelt hat. Ob sie auch der jahrzehntelang währenden Fehde um die Plattform-Vormachtstellung im PC-Markt, die sich in den letzten Jahren auf Smartphones und Tablets übertragen hat, ein Ende bereitet, bleibt abzuwarten.