Jörg Hesske

ist Country Manager bei VMware Deutschland. Nach längeren Aufenthalten in Frankreich und den USA beobachtet er auch internationale Zusammenhänge mit großem Interesse.

Lernen vom Mangel

Die Frage, ob dem deutschen Mittelstand nun tatsächlich flächendeckend Fachkräfte fehlen oder nicht, wird sich so einfach nicht beantworten lassen. Die Gründe, warum ein Stelle trotzt zahlreicher Bewerber nicht besetzt werden kann, sind vielfältig. Dennoch kennt silicon.de-Blogger Jörg Hesske von VMware einen Weg, wie sich auch mit einer dünneren Personaldecke die Arbeit erledigen lässt.

Die Debatte um den IT-Fachkräftemangel in Deutschland nimmt nicht ab. Der demographische Wandel und die globalisierte Welt, in der gerade junge Arbeitnehmer über Ländergrenzen hinweg arbeiten, erfordert für den Wirtschaftsstandort Deutschland ein langfristiges Um- und Weiterdenken. Politik, Unternehmen und Bildungseinrichtungen sind gleichermaßen gefragt. Doch um kurzfristig auf einen etwaigen Mangel in bestimmten Bereichen reagieren zu können, müssen wir gar nicht querdenken: Neue Technologien bieten uns Hilfestellung.

Es ist ein Thema, das polarisiert – und unsere Branche umtreibt: Fachkräftemangel in der IT. Wer die Debatte um zu wenig Fachpersonal in der deutschen IT-Landschaft beobachtet, sieht schnell, wie verhärtet die Standpunkte sind: Während die Einen Alarm schlagen und den Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr sehen, glauben die Anderen nicht an einen flächendeckenden und langfristigen Mangel. Laut IT-Branchenverband BITKOM gibt es derzeit 43.000 unbesetzte IT-Stellen in Deutschland. Insbesondere der Mittelstand – der deutsche Wirtschaftstreiber schlechthin – habe unter dem Fachkräftemangel zu leiden: Kleinen und mittelständischen ITK-Unternehmen fehle es derzeit an 18.000 IT-Experten, in allen anderen Branchen seien es insgesamt 25.000. Rund 11 Milliarden Euro Umsatz gehen deutschen Unternehmen damit jährlich verloren, so BITKOM.

Ursachenforschung

Auf der Suche nach den Ursachen tun sich vielfältige Gründe auf; sie reichen von verfehlter Politik über demographischen Wandel hin zu unflexibler und falscher Kommunikation der Unternehmen mit ihren Bewerbern. Insbesondere wenn es um junge Hochschulabsolventen geht, ist oft vom sogenannten “Qualifikations-Mismatch” die Rede: Es gebe zwar genug Bewerber, doch entweder seien deren Fähigkeiten nicht spezialisiert genug oder die gelernten Qualifikationen einfach nicht gefordert, oder aber das Unternehmen könne mit der Gehaltsforderung nicht mithalten. Zu all dem, und hier muss so manches Unternehmen noch viel dazulernen, kommt der Faktor “Sexiness” hinzu. Die qualifizierten, engagierten, spannenden Leute gehen nur zu Marke X, wenn sie sie auch sexy finden; wenn sie Spaß macht, und herausfordert. Wenn die Struktur des Unternehmens so ausgerichtet ist, dass neue Projekte angestoßen werden. Und gestandene Fachkräfte? Erfahrenen IT-Administratoren, die Tag für Tag mit der Technik arbeiten, fehlt es bei einem steigenden Arbeitspensum oftmals an Zeit und Gelegenheit für Weiterbildung. Das Panorama zeigt: Die Entwicklung geht dahin, dass vor allem in großen Konzernen immer spezifischeres Wissen gefordert ist; die Ansprüche an Fachkräfte werden immer spezieller.

Speziell, spezifisch, dezidiert

Ein wesentliches Merkmal der IT ist ihr rasantes Entwicklungstempo. Was heute der neueste Trend ist, kann morgen schon überholt sein. Neue Geräte und Technologien erobern den Markt in einem immer kürzeren Rhythmus. War einst bei kleineren und mittelständischen Unternehmen der Blick fürs große Ganze gefragt – von umfassenden Management-Skills als Reaktion auf die enorm steigende Gerätevielfalt und der “Consumerization” der IT über Storage- und Management-Fähigkeiten als Reaktion auf Big Data bis hin zu Rechtsfragen in der IT – wird ein allgemeiner IT-Administrator insbesondere in großen Unternehmen kaum noch gesucht. Wer die Stellenanzeigen in Zeitungen durchforstet, sieht schnell: Es sind Spezialisten gefordert, die sich mit einem einzelnen System dezidiert auskennen.

Ein paradoxes Bild

Je spezieller Technologie und Software, umso spezieller muss das Wissen sein, das ein Bewerber mitbringt. Während tausende IT-Stellen aufgrund mangelnden Know-hows unbesetzt bleiben, übernehmen viele Administratoren in heterogenen Rechenzentren mühsames manuelles Management: Software installieren, Systeme überwachen, Maschinen am Laufen halten, abgestürzte Maschinen wiederherstellen.

So mancher IT-Verantwortlicher empfindet diese Aufgaben als lästig, zeitaufwendig, nervenaufreibend. Es ist ein paradoxes Bild: In jedem modernen Flugzeug übernimmt der Autopilot die automatische Steuerung, im Haushalt ist die Spülmaschine für den Abwasch zuständig und in der Fabrik erledigen Roboter die Fließbandarbeit. Längst hat das Prinzip Automatisierung in unserem täglichen Leben Einzug gehalten, ohne dass wir es bewusst registrieren. Überall dort, wo uns immer gleiche monotone Aufgaben drohen, arbeiten Maschinen für uns – und machen uns das Leben ein großes Stück einfacher.

Raus aus der Zwickmühle

Doch ausgerechnet in einem so komplexen Konstrukt wie dem Rechenzentrum agieren Menschen wie Maschinen: Routineaufgaben wie Wartung und Fehlerbehebung nehmen bis zu 60 Prozent des gesamten Arbeitspensums von hochqualifizierten EDV-Leuten ein. Nur allzu oft konnte ich feststellen, wie wenig Zeit sich ihnen bietet, Lösungen strategisch anzugehen. Eine Zwickmühle.

Tausende Stellen in der Branche warten auf den richtigen Bewerber; die Erosion an Wissen droht immer größer zu werden. Wie lässt sich die Situation im Rechenzentrum entschärfen? Wie der Misere auf dem Arbeitsmarkt begegnen? Es heißt Prioritäten setzen, die Organisation der IT überdenken und schnell handeln. Aus technischer Sicht geht dies mittels Automatisierung. Dieses Prinzip gilt es im Rechenzentrum zu kultivieren. Denn dort bietet Automatisierung Genauigkeit und Konsistenz. Vom Betriebssystem, Hardware und Anwendungen – selbstverwaltete und standardisierte Prozesse sind eine Entlastung und Erleichterung für jeden IT-Verantwortlichen. Insbesondere wenn es an qualifiziertem Personal fehlt, liefert Automatisierung dem bestehenden IT-Team kostbare Flexibilität. Und vor allem: Hochqualifizierte Mitarbeiter nutzen ihr Know-How wieder für wahrlich anspruchsvolle Aufgaben



  1. Was den Unternehmen oft fehlt, ist im Personalmanagement ein Minimum an Risikobereitschaft. Gerade IT-Fachleute sind sehr oft in der Lage, sich schnell in ganz neue Zusammenhänge einzuarbeiten. Gesucht werden meistens aber Mitarbeiter, die “schon fast fertig eingearbeitet” sind. Solide Berufserfahrung mit dem firmenspezifischen Tool-Mix gibt es eben nur bei den eigenen Mitarbeitern. Die Probezeit ist auch zum Einarbeiten da und zum Beweis dieser Fähigkeiten.

    Wenn mir in der Geldbörse der 20€-Schein fehlt, zahle ich halt mit Kleingeld oder lass mir rausgeben. Der IT-Mittelstand würde da offenbar lieber über mangelnde Bargeldversorgung jammern.

  2. Wenn die Bewerber ausbleiben, kann das auch interne Gründe haben. Manch Unternehmen wird ja wirklich grottenschlecht von den eigenen Mitarbeitern in den einschlägigen Bewertungsportalen wie Kununu bewertet.