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Renaissance der Kundenbeziehung – Schluss mit Massenmarketing

Marketing war bisher mehr oder weniger säen, düngen, das Feld bestellen … industrielle Marketingproduktion. Quelle: S. Pfeiffer/Digitalnaiv.com

Seit Jahren reden wir verstärkt davon, den Kunden (wieder) in den Mittelpunkt zu stellen. Kundenzentriert, servicefreundlich, neudenglisch nennen wir es customer centric und Customer Experience. Doch was ist die Realität im Alltag heute noch? Der Vertriebler wird von Quartal zu Quartal geprügelt, denn überraschenderweise ist dieses Quartal (wieder einmal) das wichtigste Quartal in der Geschichte des Unternehmens. Eine Flut meist interner Telefonkonferenzen und Reviews frisst die Zeit auf, die gerade der Vertrieb eigentlich mit seinen Kunden verbringen sollte. Und wenn dann das zarte Pflänzchen der persönlichen Beziehung zum Kunden zu blühen beginnt, wechseln wir den Verkäufer, so dass sich unser Kunde an einen neuen Ansprechpartner gewöhnen muss.Im Vertrieb gibt es schon lange das schöne Bild des Jägers und des Gärtners. Aus oben beschriebenem Quartalsdruck kultivieren und fördern wir den Jäger, statt zu erkennen, dass wir im sozialen Zeitalter mehr Gärtner brauchen. Heute machen sich die Kunden nicht mehr über ihren Vertriebler schlau. Sie tun dies zuerst im sozialen Netz und nicht auf den bunten, rein werblichen, unkommunikativen Hochglanzbroschürenwebseiten der Unternehmen. Die Kunden schauen nach Bewertungen im Social Web, recherchieren in Communities, fragen in ihrem Netzwerk nach, wer welche Erfahrung mit dem Lieferanten und seinen Produkten hat. Die Meinung und Bewertung von (hoffentlich nicht) Leidensgenossen und nicht das bunte Online oder gedruckte Prospekt präjustiziert eine Kaufentscheidung, meist lange bevor es Unternehmen und Vertriebler oft merken. So gehen Kunden heute gut präpariert, wohl informiert, meist mit einer vorgefassten Meinung in Verkaufsgespräche. Und natürlich haben wir unsere Kunden unterdessen auch gelehrt, wann im Quartal und Jahr sie den besten Preis bekommen.

Und wir im Marketing verschlimmbessern die Situation noch. Wir SPAMmen unsere Interessenten und Kunden mit E-Mails und Newslettern zu, Promotions, die meist rein werblichen Charakter haben oder die zu den unzähligen Veranstaltungen einladen, die laufend stattfinden. Und dann wundern wir uns, dass immer mehr Kunden Newsletter und E-Mails der Unternehmen abbestellen, unsubscriben. Auch die mittlerweile nicht mehr ganz so neuen sozialen Kanäle haben wir oft nicht verstanden. Wir missbrauchen sie unterdessen als einen neuen Kanal, über den wir die Welt mit oben beschriebenen Nachrichten beschallen. Ich nenne das Social SPAM, der immer weiter zunimmt und die Prinzipien des Social Webs ad absurdum führt. Besonders erfreut bin ich, wenn ich die Mails bekomme, doch bitte über meine persönlichen sozialen Kanäle diese Veranstaltung und jene Promotion zu bewerben. Ein Teufel werde ich tun und meine Reputation und Glaubwürdigkeit im Netz aufs Spiel setzen. Natürlich werben wir über soziale Unternehmenskanäle und auch persönliche Konten. Jedoch sollten wir das gerade bei den persönlichen Accounts mit sehr viel Augenmaß und Überlegung tun. Ich habe mir beispielsweise die Regel auferlegt, auf Xing pro Jahr mein Netzwerk maximal zweimal zu IBM Veranstaltungen einzuladen, die es mir wert sind.

Mein persönliches Zwischenfazit; Liebe Marketiers, die Zeit des Massenmarketings ist (zumindest beim Verkauf komplexerer Produkte und vor allem im B2B) vorbei. Stattdessen sollten wir darauf konzentrieren, wie wir den potentiellen Kunden positiv für unser Unternehmen und seine Produkte stimmen und sein Vertrauen gewinnen. Die notwendigen Massnahmen sind nicht einfach, aber auch kein Hexenwerk. Eine informative, kommunikative statt platt werbende eigene Webpräsenz ist der absolut notwendige erste Schritt. Kunden wollen gehaltvollen Dialog und qualitativ nützliche Inhalte. Genau dahingehend müssen wir die Webseiten unserer Unternehmen umbauen. Sie müssen zur Informations- und Kommunikationsdrehscheibe unseres Unternehmens werden, immer aktuelle und wertvolle Inhalte bieten, gut konsumierbar auf den normalen Bildschirmen wie auch auf der Vielzahl der unterschiedlichen mobilen Endgeräte. Und natürlich stellt sich auch die Frage, wann ich die Kontaktinformationen des potentiellen Kunden einfordere: beim Download eines White Papers oder lasse ich den Kunden aktiv auf mich zukommen und bitte ihm an passenden Stellen auf meiner Webseite direkte Kommunikatonsmöglichkeiten (Click-to-chat, Click-to-call, soziale Kanäle, E-Mail)  mit meinem Unternehmen an. Gerade für uns Marketiers, die wir an der Anzahl der generierten Leads gemessen werden, eine schwierige Frage. Einerseits müssen wir Erfolge nachweisen, andererseits wollen wir die Kunden nicht durch Registrierungsformulare verschrecken. Die Souveränität und Geduld, den Kunden “kommen” zu lassen, muss man erst mal haben, gerade auch angesichts des erwähnten Erfolgsdrucks.

Die eigene Webseite ist der erste Schritt, denn die potentiellen Kunden schauen sich sicher nicht nur dort um. Sie gehen in die erwähnten Communities und informieren sich dort. Was tun, sprach der Marketier? Aufmerksames Zuhören in den sozialen Kanälen, Social Media Monitoring in relevanten Communities und Bewertungsportalen, ist aller Anfang. Die entsprechenden Tools sind von freien Werkzeugen bis zu professionallen Produkten und Services vorhanden. Dieses Monitoring ist dann die Grundlage dafür, die für das eigene Unternehmen wichtigsten Plattformen zu identifizieren, wo sinnvoll zu kommentieren und auch durchaus die berühmten Opportunities zu identifzieren. Am liebsten lesen wir natürlich positive Kommentare zu unseren Produkten und Dienstleistungen. Die kommen nicht von alleine. Die kommen zu allererst durch gute eigene Produkte und guten Service. Und dann können wir noch seitens Marketing und Vertrieb  mit entsprechenden Massnahmen dazu beitragen, den berühmten Kampf um das Word of Mouth möglichst positiv zu gestalten.

Die eigene Webseite (Owned Media) haben wir ja schon zu einer kommunikationsfreundlichen, interaktiven Informationsdrehscheibe umgebaut. Natürlich platzieren wir auch weiterhin Anzeigen und Werbung (Paid Media), gestreut online und in Printmedien, wie es für das Unternehmen und die Produkte sinnvoll ist. Und dann kommen wir zur Königsdisziplin: Wie schaffen wir es, dass in den relevanten Communities und sozialen Kanälen positiv über Unternehmen und Produkte geschrieben wird. Wie verdienen wir uns diese Earned Media? Meiner Meinung gelingt das nur dadurch, dass wir in den entsprechenden Kanälen zuhören und dort unsere Meinung und Produkte authentisch, glaubhaft und eloquent vertreten. Über das Zuhören habe ich schon geschrieben. Für das Vertreten der eigenen Meinung braucht man auf jeden Fall entsprechende Kapazitätenim doppelten Sinne, Mitarbeiter, die die Kompetenz haben und denen man auch die Zeit gibt, sich als Meinungsführer und Sprecher zu einem bestimmten Thema in den sozialen Kanälen und Communities zu positionieren. Genau darin liegt meiner Erfahrung nach die Krux. Die beschriebenen Experten sind schon heute busy und viele Führungskräfte sehen auch nicht den Nutzen, den Thought Leadership in sozialen kanälen bringt. Das ist doch Aufgabe der Unternehmenskommunikation und PR-Abteilung.

Falsch gedacht. Die Zeiten sind heute vorbei. Früher genügte es, ab und an einmal ein Interview oder einen Artikel in den eigenen Brnachenblättchen und Publikationen zu platzieren. Heute dagegen muss das Unternehmen mit seinen Produkten und seinen Thought Leadernständig online in den entsprechenden Kanälen präsent sein. Jetzt keine Panik: Man kann das organisieren und steuern, muss sich aber durchaus der Situation gegenwärtig sein. Und man sollte realisieren, dass wir nicht mehr in den Zeiten leben, wo wir uns auf Journalisten und Analysten konzentrieren können. Die sozialen Medien haben ein weitaus größere Zahl an relevanten Influencern herausgebracht, die sich in Communities, Blogs, Hangouts, auf Barcamps und Veranstaltungen tummeln. Die für mich und meine Produkte wichtigen Influencer muss ich identifizieren und eine Beziehung zu ihnen aufbauen, eine Beziehung, die den Influencern auch einen Mehrwert bietet. Das braucht Zeit und Geduld, denn das soziale Netz kann man (hoffentlich) nicht kaufen. Der Benefit eines solchen Netzwerkes ist aber genau das, was ich oben beschrieben habe: Positive Kommentare und Bewertungen, die eine Kaufentscheidung maßgeblich mit beeinflussen.

Vertriebler sollten sich der Situation gegenwärtig sein, sich im Netz und real mit ihren Kunden vernetzen und eine Beziehung pflegen. Marketiers müssen realisieren, dass heute Massenmarketing nicht mehr alles ist. Daneben sollten sie ernsthaft über individualisiertes Digital Marketing und Influencer Marketing nachdenken, das auf werthaltige Inhalte, für den Kunden einfache Kommunikation und das Bilden eines Netzwerks baut. Dieses Netzwerk, das dann die positiven Bewertungen hervorbringt, müssen Marketing, Vertrieb und die Experten, die Subject Matter Experts des Unternehmens, zusammen aufbauen und vor allem hegen und pflegen. Alle genannten Mitarbeiter werden zu Marketiers, denn sie sind Marken- und Unternehmensbotschafter draußen im Netz. Und alle genannten Gruppen werden auch zu Verkäufern, denn sie müssen Vertriebschancen identifizieren und sich um die Verfolgung kümmern. Alle werden wir zu Kümmerern, die dann wirklich den Kunden und die Kundenbeziehung im Zentrum des Schaffens haben. Nur dann klappt das auch mit der Nachbarin …

Redaktion

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