Rainer Downar

war bis zu seinem leider überraschenden Tod im April 2018 als Executive Vice President Central Europe für das Deutschlandgeschäft sowie Schweiz, Österreich und Polen bei der Sage GmbH verantwortlich. Für die Geschäfte von Sage in diesen Regionen ist nun seit Oktober 2018 Andreas Zipser zuständig.

Wie Technologien der nächsten Generation Rechnungswesen und Zahlungsverkehr verändern (könnten)

Heute ist eines klar: Auf lange Sicht gesehen, wird es in unserer Gesellschaft kein Unternehmen mehr geben, das ohne Software-Unterstützung existiert. Diese Entwicklung hat lange vor der Entstehung des Slogans der “digitalen Transformation” begonnen.

Dennoch befinden wir uns derzeit in einem großen Umbruch. Auch wenn er eher schleichend kommt. Im Finanz- und Buchhaltungsbereich sprechen wir von einer unsichtbaren Revolution. Es sind innovative Technologien und Prozesse, die eine völlige Veränderung im Rechnungs- und Zahlungswesen bewirken werden. Und zwar parallel zu den Entwicklungen in der Industrie.

Digitalisierung (Bild: Shutterstock/ImageFlow)

Die Industrie will ja über das Internet der Dinge zur vollständigen automatischen Vernetzung von Maschinen, Herstellungs- und Logistikketten kommen. Das Synonym dafür hat bekanntlich Deutschland mit dem Begriff Industrie 4.0 geboren.

Was sind das für Technologien und Ideen, die diese Veränderungen – kontinuierlich, aber an manchen Punkten auch disruptiv – einleiten? Im Folgenden eine Aufzählung der Langzeittrends:

  • Eine neue Generation von Tools und Services für das Cloud-Computing wird es fast jedem ohne große technischen Kenntnisse ermöglichen, eine App so leicht zu erstellen wie eine Excel-Tabelle. Der “Citizen Developer” und die sogenannte “Low Code”-Revolution sind nicht mehr weit weg.
  • Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die Schnittstellen-Paradigmen des Browsers und der Mobile App von natürlich-sprachlichen Schnittstellen abgelöst, die von künstlicher Intelligenz (KI) gesteuert werden.
  • Technologien wie Amazons Alexa oder Apples Siri treffen auf immer größere Akzeptanz. KI und Sprachsteuerung werden zur Normalität werden.
  • Blockchain oder ein anderer digitaler Vermittler wird das derzeitige digitale Vertrauensproblem lösen. Damit könnten ganze Berufe und Geschäftsmodelle obsolet werden.
  • Ein von künstlicher Intelligenz gestütztes “Internet der Dinge” wird Prozess-Endpunkte “intelligent” machen.
  • Daten werden durch eine Kombination aus Datenanalytik und Gesetzgebung (im Finanz- und Steuerwesen) selbst zur disruptiven Kraft.
  • Regierungen werden Besteuerungen und Compliance nahezu in Echtzeit umsetzen.
  • Manuelle Dateneingaben wird es nicht mehr geben.

Welche Auswirkungen hat dies auf das zukünftige Rechnungswesen?

Aufgrund der sich weiterentwickelnden Technologien wie der Künstlichen Intelligenz wird sich die Buchhaltungspraxis massiv verändern, genauso wie die heutigen Finanzfunktionen. Sie werden sich auch deshalb ändern, weil sich auch der Geld- und Kapitalverkehr wandeln wird. Anschaulich macht dies der erste Chatbot Pegg im Rechnungswesen.

Der Pilot von Sage zeichnet sich durch eine natürlich-sprachliche Eingabe aus. Dadurch überwindet er die Hürde bisheriger Buchhaltungsprogramme, bei denen der Nutzer genau wissen muss, wo und wie er seine Fragestellung – etwa nach dem Tagesumsatz oder nach dem säumigen Schuldner – absetzen muss. Durch KI wird aus einer “nur” dialog-basierten Benutzungsoberfläche in Zukunft ein Instrument werden, das in der Lage ist – auch mit Hilfe einer durchgängigen Automation – die einfachen wiederkehrenden Aufgaben oder Anfragen des Vertrieblers oder Geschäftsführers eines Buchhalters zu übernehmen.

Mit dem intelligenten Assistenten Pegg behalten Anwender die Kontrolle über Ausgaben und Einnahmen. (Bild: Sage)
Mit dem intelligenten Assistenten “Pegg” behalten Anwender die Kontrolle über Ausgaben und Einnahmen. (Bild: Sage)

Natürlich ist das nicht so einfach, wie es sich anhört. Ein künstlich-intelligenter Buchhalter ist das Ergebnis einer sich Schritt für Schritt weiterentwickelten Software, die sich von Anfang an am Arbeitsmuster einer Buchhalterrolle orientiert. Dabei werden Prozesse mit Hilfe von IT unterstützt. Also die Gehaltsabrechnung; die Steuerung des Zahlungsverkehrs; die Definition von Regeln und Sicherheitsmechanismen, um Compliance herzustellen; die Buchhaltung, die Soll- und Ist verwaltet und bilanziert sowie die Steuerbeträge begleicht etc.

Fragen an das Buchhaltungssystem per Chatbot, wie die nach dem Tagesumsatz, sind dabei der kleinste Teil der Übung. Und die Praxis mit Pegg zeigt, dass auch die einfachsten Themenstellungen derzeit noch schwer umzusetzen sind. Dass in ferner Zukunft ein menschlicher Buchhalter außen vor bleiben könnte und nur noch intelligente Automatisierungstechnik die Bank- und Steuerportale ansteuert und bedient, ist kaum vorstellbar. Die kniffligen und auf viel Erfahrungswissen basierenden Aufgaben der Buchhaltung im Unternehmen, von denen es neben den wiederholbaren Routineaufgaben noch viele gibt, werden noch lange von Menschen gestaltet.

Voraussetzung für die Automation der einfachen wiederholbaren Buchhalterfunktionen ist die Weiterverfolgung einer Methode, die mit der Cloud-Idee Einzug in die Programmierung hielt. Um einen KI-gestützten Buchhalterroboter zu schaffen, gilt es seine automatisierbaren Aufgaben in kleinste einzelne diskrete Services zu unterteilen und dann entsprechend des Anwendungsbedarfs zusammenzufügen. So konstruiert kann dann etwa ein Bank-Bot einen Kontoauszug herunterladen und kontieren und ein Cashflow-Bot kann die Zahlungsflüsse verwalten und zum Beispiel erkennen, wenn eine Zahlung ausbleibt.

Noch einen Schritt weiter gedacht …

Wer noch einen Schritt weiter denkt und Chatbots, Automationsbots, das maschinelle Lernen und Künstliche Intelligenz zusammen mit Sicherheitstechnologien wie Blockchain kombiniert – unter Einbeziehung des Tuns von Gesetzgeber und Steuerbehörden – sieht Visionäres. Gerade durch die Technik der Blockchains, die ursprünglich als Basis für die Bitcoin-Währung konzipiert wurde, zeichnen sich im Finanzbereich große Veränderungen ab, weil Transaktionen sicherer werden.

Zu dieser Veränderung trägt auch die überarbeitete Richtlinie zu Zahlungsdienstleistungen bei, kurz als PSD2 bezeichnet, die im Januar 2016 in Kraft trat. Unter PSD2 sind Banken gehalten, Daten-Schnittstellen für zwei neue Typen von Service-Anbietern bereitzustellen: für die Anbieter von Kontoinformationen, die Daten aus mehreren Quellen aggregieren (die “Account Information Service Provider” – AISP), und für die Anbieter von Zahlungsinitiierungsdiensten (die “Payment Initiation Service Provider“”– PISP).

Die Einführung von PISPs ermöglicht Anwendern, Zahlungen direkt zu initiieren, ohne dabei über die derzeitigen Kartenschemata und Service-Anbieter gehen zu müssen. Das bedeutet, der Zahler weist seine Bank an, das Geld direkt an die Bank des Empfängers zu senden.

Das bedeutet letztendlich: Transaktionskosten könnten weniger werden und die Technik könnte sogar die Mittler zwischen den Banken ersetzen. Die öffentliche Hand könnte neue Besteuerungsformen bei der digitalen Wertschöpfung kreieren und zur Echtzeitbesteuerung übergehen. Routinen laufen dann im Hintergrund ab. Zusätzliche Technologieplattformen und Service-Software, intelligente Automation und Datenintelligenz können die Welt der Finanzen zu einer anderen machen – und uns von Arbeit entlasten, die keiner gerne macht.

PSD2 und Blockchain in Kombination mit künstlicher Intelligenz bietet enorme Chancen, bestehende Geschäftsabläufe in den Unternehmen von Grund auf neu zu definieren. Am Ender der digitalen Transformation kann ein völlig umgestaltetes Rechnungs- und Finanzwesen in den Unternehmen stehen. Die nächsten Jahre werden zeigen, in welche Richtung sich die Veränderung vollzieht und welche Ausprägungen und Details dieser Wandel für Unternehmen und Gesellschaft bereithält.