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Hypervernetzte Mobilität: Offene Kultur statt Monokultur

Wenn sich Fahrzeuge digital mit ihrer Umgebung austauschen können, spricht man von Vehicle-to-Anything- oder kurz: V2X-Kommunikation. Marktteilnehmer und Regierungen sehen das als Voraussetzung, um eine höhere Sicherheit im Straßenverkehr, eine Optimierung der Verkehrswege und die nächste Stufe des automatisierten Fahrens zu erreichen. So können sich zum Beispiel Fahrzeuge gegenseitig vor Unfällen oder Glatteis warnen, oder die Straßen-Infrastruktur kann die Fahrzeuge in Echtzeit mit Sicherheits-, Navigations- und Park-Informationen versorgen.

Dazu müssen Autos und Laster denselben Schritt vollziehen, den die Mobiltelefone einst gegangen sind, als sie zu Smartphones wurden. Bisher können Fahrzeuge zumeist nur mit der Connected-Car-Plattform ihrer jeweiligen Hersteller interagieren, so wie damals unsere alten Mobilknochen nur die Programme des einen Herstellers ausführen konnten.

Jetzt müssen die Fahrzeuge lernen, mit einem großen Ökosystem aus digitalen Diensten und anderen vernetzten Dingen zusammenzuarbeiten. Es ist der Schritt vom vernetzten zum hypervernetzten Fahrzeug, das über viele Übertragungsstandards (z.B. Mobilfunk, W-LAN, Bluetooth und LoRa) und mit vielen anderen Fahrzeugen, Dingen und Diensten reden kann – etwa mit Smart Cities oder Smarten Homes.

Mehr Standards führen zu mehr Fragmentierung

Bei Fahrzeugen ist dieser Schritt allerdings deutlich schwieriger zu nehmen als bei Mobiltelefonen. Letztere dienten schon immer der Kommunikation, Fahrzeuge dagegen waren schon immer darauf ausgelegt, Personen und Güter von A nach B zu befördern. Entsprechend groß ist der Unterschied der Techniken und Technik-Kulturen, die im Fahrzeug und im Internet vorherrschen – ebenso unterscheidet sich die Technik in Fahrzeugen von derjenigen in Parkhäusern oder Smart Grids.

Die Anzahl der Lösungsansätze für dieses Problem ist vielfältig. Sehr beliebt sind Partnerschaften. Fast jeder Fahrzeughersteller hat inzwischen eine oder mehrere Partnerschaften mit Firmen wie Amazon, Google oder Microsoft geschlossen, um Kunden eine nahtlose Integration ihres Fahrzeugs mit den digitalen Werkzeugen zu bieten, die sie privat oder geschäftlich nutzen. Diese Integrationen sind in der Regel aber auf die technologischen Spezifikationen und Ökosysteme jeweils eines Anbieters beschränkt.

Um diese Beschränkungen zu überwinden, versuchen verschiedene Organisationen, Standards zu etablieren. Aber weil es in diesem Bereich so viele verschiedene Kommunikations-, Daten- und Anwendungsebenen in verschiedenen Technologiefeldern gibt, haben sogar Experten Schwierigkeiten, die Vielzahl der Standardisierungs-Initiativen zu überblicken. Eine ironische Konsequenz daraus ist, dass die Standardisierung eher zur Fragmentierung als zur Integration führt.

Theoretisch könnten Regierungen dieses Problem durch die Festlegung von Standards lösen – doch auch diese Möglichkeit wirft Probleme auf: Nationale Regelungen können zur internationalen Fragmentierung führen, und internationale Koordination benötigt viel Zeit. In der Zwischenzeit entwickeln sich Technologien und digitale Geschäftsmodelle so schnell weiter, dass sie jede Gesetzgebung überholt haben, bevor sie überhaupt verabschiedet wurde.

Einheit in der Vielfalt

Die hypervernetzte Mobilität wird ohne Zweifel eine vielfältige Welt bleiben. Obwohl Standardisierung essenziell bleibt, sollten wir nicht darauf wetten, dass wir eines Tages die Differenzen zwischen Technologien, Branchen und Ländern eliminieren können. Um das Versprechen der hypervernetzten Mobilität zu verwirklichen, müssen wir die Vielfalt nicht eliminieren, sondern begrüßen und meistern.

Das Modell dafür ist die Föderation. Eine Föderation respektiert die Souveränität jedes ihrer Teile und bleibt gleichzeitig gemeinsamen Prinzipien treu. In der Informationstechnologie ist dieses Konzept sehr verbreitet – etwa als Code, der unabhängig von der Technologie ist, auf der er ausgeführt wird.

Im IoT-Umfeld ist Interoperabilität durch Föderation das Ziel von oneM2M, einem “Standard der Standards”, der von acht weltweiten Standardisierungsorganisationen entwickelt wurde. oneM2M definiert keine Spezifikationen für einzelne IoT-Bereiche, sondern stellt eine gemeinsame Verbindung zwischen diesen Bereichen zur Verfügung. Unterstützt wird dies durch eine horizontale, technologieunabhängige Plattform.

Jeder Marktteilnehmer wird zur Plattform

Föderierte Plattformen werden zu Zentren der aufkommenden Ökosysteme für hypervernetzte Mobilität. Ähnlich wie die App-Plattformen für Smartphones werden sie Marktplätze für Dienste anbieten, Sensordaten sammeln und Nutzer miteinander verbinden.

Es gibt jedoch große Unterschiede zu den üblichen Smartphone-Apps. Erstens die herausragende Bedeutung der Sicherheit. Digitale Plattformen für die hypervernetzte Mobilität müssen eine extrem sichere und zuverlässige bidirektionale Kommunikation zwischen Fahrzeugen und ihrer Umgebung unterstützen. Zudem bedarf es einer dezentralen IT-Architektur, da die Datenübertragung an entfernte Plattformen für viele kritische Anwendungen zu langsam, fehleranfällig und ineffizient ist. Eine Ausprägung davon wird sein, dass Straßen mit Mini-Rechenzentren ausgestattet werden. Sie sammeln und analysieren Fahrzeugdaten, um kritische Mobilitätsdienste mit wenigen Mikrosekunden Verzögerung und extrem zuverlässig zur Verfügung stellen zu können.

Schließlich wird die hypervernetzte Mobilität, im Gegensatz zur Smartphone-Welt, nicht von einem Oligopol aus digitalen Plattformen dominiert werden. Ein föderierter, dezentraler Ansatz wird eine offene Kultur des Wettbewerbs und der Kooperation hervorbringen. Es entsteht ein vielfältiges Ökosystem, in dem nahezu jeder Marktteilnehmer zur Plattform wird – als Vermittler, Broker, Verkäufer oder Wiederverkäufer von Mobilitätsdienstleistungen und Daten. Fahrzeughersteller, Händler, Energieversorger, Reisebüros und Städte werden Dienstleistungen und Daten von Drittunternehmen in ihre eigenen Angebote integrieren – und Zug um Zug Daten und Dienste an Dritte vertreiben.

Redaktion

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