Wohin mit dem Elektroschrott – der Countdown läuft

Elektroschrott ist die am schnellsten wachsende Müllart unserer Gesellschaft. Ein Gesetz soll künftig die Entsorgung europaweit regeln. Die Zeit drängt, Stichtag ist in einem Jahr  und noch sind viele Fragen offen – vor allem im B2B-Bereich.

Wenn in den sechziger Jahren ein Computer über den Ladentisch ging, trat er im Durchschnitt einen zehnjährigen Dienst an. Heutige Rechner gehören schon nach vier bis fünf Jahren zum alten Eisen, zusammen mit dem restlichen elektronischen Müll aus Küche und Wohnzimmer macht das allein in Deutschland pro Jahr 1,1 Millionen Tonnen Elektroschrott. Weltweit sind derzeit über eine Milliarde Rechner im Einsatz, jedes Jahr werden 130 Millionen verkauft. Ab dem Sommer kommenden Jahres verpflichtet der Gesetzgeber die Hersteller, ihre Altgeräte zurückzunehmen. Die prophezeien bereits jetzt eine Verteuerung der Geräte.
Das neue Gesetz soll vor allem die Entsorgung von Altgeräten aus dem Privatbereich regeln. Ab dem 13. August 2005  können Verbraucher in Sammelstellen alte Computer und anderen Elektronikschrott abgeben. Die Finanzierung der Abholung, Wiederverwertung und Entsorgung werden die Hersteller tragen müssen. Die Hersteller stöhnen bereits jetzt bei der Aussicht auf die zusätzliche finanzielle Belastung. HP und Fujitsu Siemens haben bereits das Thema Gerätepreise aufs Tablett gebracht. Der hohe Logistikaufwand werde die Ausgaben in die Höhe treiben.

Im B2B-Bereich ändert sich dagegen auf den ersten Blick wenig. Die Entsorgung der Altgeräte wird mit den Unternehmen meist beim Kauf neuer Produkte geregelt.
Verantwortlich für den finanziellen Mehraufwand der Hersteller ist also scheinbar nur der Privatbereich. Ein Trugschluss, der aber nur deutlich wird, wenn das verschlungene Gesetz und das Ein- und Verkaufsverhalten im B2B-Bereich unter die Lupe genommen werden.

Kollektive Verantwortung der Unternehmen

Bereits im vergangenen Jahr haben 120 Hersteller und Importeure von Elektrogeräten in Deutschland eine gemeinsame ‘Clearing-Stelle’ eingerichtet, das so genannte ‘Elektro-Altgeräte-Register’ (EAR). Damit folgte man den Forderungen des Gesetzgebers. Diese ‘Clearing-Stelle’ ist der Dreh- und Angelpunkt des Systems. Sie muss sicher stellen, dass jedes Gerät, das auf den Markt kommt, gemeldet wird und ermittelt so den Marktanteil des jeweiligen Herstellers und damit auch die jeweilige Recyclingquote, die eingehalten werden muss. Zudem wird über das EAR
koordiniert, wer was an welcher Sammelstelle abzuholen hat.

“Für ‘historische Altgeräte’ wurde eine kollektive Verantwortung vereinbart, für Geräte, die nach dem 13.08.05 auf den Markt kommen, eine individuelle”, erklärt Klaus Hieronymi, europäischer Umweltmanager bei HP, im Interview mit silicon.de. “Das heißt, ab diesem Zeitpunkt muss jeder Hersteller nur noch seine eigenen Geräte zurücknehmen.” Die kollektive Verantwortung heißt dagegen, dass zum Beispiel Samsung, mit einem jetzt hohen Marktanteil, auch viele Geräte von Unternehmen wie Telefunken annehmen muss, die nicht mehr existieren.

Quersubventionierung nicht zu vermeiden

Bis spätestens zum 31. Dezember 2006 ist eine Sammelquote von vier Kilo je Einwohner und Jahr aus privaten Haushalten nachzuweisen. Doch so genau lässt sich die Sache mit den Privathaushalten nicht definieren. Erklären lässt sich das am besten anhand eines Beispiels. So verkauft IBM fast nur im B2B-Bereich und muss seine Absatzzahlen genauso anmelden wie Gericom, das über Billigketten hauptsächlich für Privatanwender verkauft. IBM muss also am Ende genauso viel Müll von Privatkunden entsorgen, auch wenn der hauptsächlich von der Konkurrenz stammt.

Unter dem Stichwort Quersubventionierung tut sich auch noch ein anderes Problem auf. Denn der Inhalt der Rückgabe-Container wird per Gewicht unter den zum Recycling verpflichteten Unternehmen verteilt. Da ein Drucker aber ungefähr gleich schwer wie ein PC ist, muss beispielsweise ein Hersteller von Druckern einen Container zurücknehmen und verwerten, in dem überwiegend Computer sind und umgekehrt. “Man muss versuchen, zu Beginn ein möglichst effizientes System zu schaffen, in das alle Erfahrungswerte der ersten Jahre einfließen können, um es zu optimieren”, sagt Mario Tobias im Gespräch mit silicon.de. Er ist Umweltschutzexperte beim Branchenverband Bitkom.

Mehrkosten im dreistelligen Millionenbereich

Fest steht, dass auf die Hersteller empfindliche Mehrkosten zukommen. Experten rechnen damit, dass allein in Deutschland 1,1 Millionen Tonnen Altgeräte pro Jahr anfallen – vom Headset bis zum Kühlschrank. Nimmt man davon nur ITK-Geräte, sind es immer noch geschätzte 120.000 bis 125.000 Tonnen. Die Entsorgung käme auf geschätzte 100 Millionen Euro. HP-Experte Hieronymi erwartet für sein Unternehmen in Deutschland Mehrkosten von 10 bis 30 Millionen Euro. Wie hoch die Kosten am Ende aber tatsächlich sein werden, ist völlig offen. Denn niemand kann heute genau sagen, wie hoch die Rücklaufquote sein wird.

Im Unternehmensbereich schlagen vor allem die Kosten für die Entsorgung so genannter neuer Altgeräte zu Buche. Denn alle Geräte, die nach dem 13. August 2005 ausgeliefert wurden, müssen vom Hersteller kostenlos entsorgt werden – es sei denn es wird vertraglich anders geregelt. “Die Hersteller müssen sich also vor großen Kosten in Acht nehmen”, so Tobias. Das Recycling historischer Firmen-PCs ist vergleichsweise unproblematisch. Sie müssen zwar zurückgenommen und entsorgt werden, für die Finanzierung ist aber der jeweilige Kunde, sprich die Anwenderfirma, verantwortlich.

“Alle Hersteller haben das gleiche Problem”, sagt Tobias. “Über die Einnahmen aus dem heutigen Verkauf muss doppelt finanziert werden, einerseits die Entsorgung der jetzt anfallenden Geräte, zudem muss eine Garantie für die Zukunft gegeben werden.” Dass sich das auch auf den Einzelpreis der Geräte auswirken wird, ist mehr als wahrscheinlich. HP rechnet nach eigenen Angaben mit einer Verteuerung der Elektro- und Elektronikgeräte von durchschnittlich 50 Cent bis 1 Euro. Andererseits werden alle Hersteller angesichts des aktuellen Preiskampfs am Markt ihr möglichstes tun, um die Mehrkosten gerade nicht an die Kunden weiterzugeben. “Dies ist auch eine Marketing-Entscheidung der Hersteller”, sagte Thomas Hagbeck, Sprecher im Bundesumweltministeriums, gegenüber silicon.de.

Die meisten Firmen entsorgen ihre PCs in Eigenregie

Erfahrungen in anderen Ländern, in denen die Hersteller bereits seit Ende der 90er Jahre zur Rücknahme verpflichtet sind, helfen nicht viel weiter, weil die Ergebnisse weit auseinander liegen. So liegt  der Rücklauf in der Schweiz bei 2,2 Kilo pro Einwohner, in Belgien dagegen nur bei 400 Gramm. Dazwischen liegen Schweden mit 1,2 Kilo und Holland mit 800 Gramm. Zu den Erklärungsversuchen für die großen Unterschiede gehört auch der gut organisierte Gebrauchtwarenhandel in Belgien und Holland.

Auch in Deutschland gibt es einen blühenden Handel mit gebrauchten Computern, um das zu beweisen genügt beispielsweise ein Blick in das Online-Auktionshaus Ebay. Nicht selten wird die Zweitverwertung auch von den Firmen selbst organisiert. Vor allem Rechner von Großkunden haben einen hohen Wiederverkaufswert, weil der Zyklus von Großkunden für Neuanschaffungen bei cirka vier Jahren liegt”, so Hieronymi über die Erfahrungen bei HP.

Von solchen hochwertigen Altgeräten hat aber der Hersteller in der Regel nichts. “Weil sie jemanden finden, der mehr zahlt als wir”. Das Ganze sei vergleichbar mit dem Gebrauchtwagenhandel, sagt Hieronimy: Wenn man einen Neuwagen kauft, fragt man den Händler wie viel er für den Alten zahlen würde. Danach wird er in die Zeitung gesetzt und man bekommt in der Regel mehr dafür. “Tatsächlich nehmen wir nur in einem von 30 Fällen die Altgeräte auch tatsächlich zurück”, so Hieronymi.

Das bestätigt auch Mario Tobias von der Bitkom. Viele Geräte würden entweder an Mitarbeiter verkauft oder an Schulen und ähnliche Einrichtungen gespendet. Anschließend landen sie wieder im Kreislauf zur Privatentsorgung. Vor diesem Hintergrund macht es dann durchaus wieder Sinn, wenn bei der Berechnung der Sammelquote alle Hersteller über einen Kamm geschoren werden.