NSN: Kahlschlag in Deutschland

Nokia Siemens Networks jetzt ohne Siemens

Im November 2011 hatte das kränkelnde Joint Venture Nokia Siemens Networks (NSN) angekündigt, weltweit Tausende Stellen zu streichen. Jetzt wurden die Folgen für Deutschland bekannt: 2900 von 9000 Stellen werden gestrichen und der größte Standort München geschlossen.

In München ist ein großer Teil der Verwaltung angesiedelt, hier arbeiten 3600 Beschäftigte. Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung will sich NSN künftig auf die Standorte Berlin, Bonn, Bruchsal, Düsseldorf und Ulm konzentrieren. Der Großteil des Stellenabbaus solle bis Ende des Jahres über die Bühne gehen.

“Uns ist bewusst, dass dies eine erhebliche Reduzierung der Mitarbeiterzahl ist und wir möchten diese mit Respekt und unter Einhaltung aller rechtlichen Rahmenbedingungen umsetzen”, sagte NSN-Deutschland-Chef Hermann Rodler. “Wir müssen in Deutschland diesen schwierigen Schritt machen, um sicherzustellen, dass Nokia Siemens Networks ein wirtschaftlich nachhaltiges Unternehmen ist.”

Die IG Metall bestätigte die Angaben. Nach Schätzungen der Gewerkschaft könnten vom Stellenabbau und den erwarteten Ausgliederungen in Deutschland noch mehr Beschäftigte betroffen sein, so dass insgesamt jeder dritte Arbeitsplatz zur Disposition stehe.

Michael Leppek, IG Metall
Michael Leppek, IG Metall

Die IG Metall wies die Pläne für den Personalabbau zurück. “Wir wehren uns mit den Beschäftigten gegen diesen Kahlschlag”, sagte Michael Leppek, Beauftragter der IG Metall für NSN. “Unser Ziel ist es, durch einen Tarifvertrag zur Zukunftssicherung möglichst viele Arbeitsplätze bei NSN zu erhalten und die Schließung des Standortes München abzuwenden.”

Der NSN-Gesamtbetriebsratsvorsitzende, Georg Nassauer, sagte, die Beschäftigten hätten schockiert und wütend reagiert. Nassauer kündigte Widerstand gegen die Pläne an: “Wir Betriebsräte werden zusammen mit der IG Metall alles tun, um den Abschied von NSN aus Deutschland zu verhindern.”

IG Metall und Gesamtbetriebsrat forderten von der NSN-Führung, die Pläne sofort zu stoppen und über Alternativen und Zukunftsperspektiven zu verhandeln. Bis zur Klärung sollen nach ihrer Vorstellung keine Personalmaßnahmen und Ausgliederungen erfolgen.

Für die kommenden Tage ruft die IG Metall die Beschäftigten zu Protestaktionen auf. In München wollen die Mitarbeiter am 1. Februar im Anschluss an eine außerordentliche Betriebsversammlung gegen die geplante Standortschließung protestieren. Um 09:45 Uhr werden die Beschäftigten vor das NSN-Vorstandsgebäude an der Werinherstraße 91 ziehen und dort ihren Unmut kundtun.

Rajeev Suri. Bild: NSN
Rajeev Suri. Bild: NSN

NSN hat seit der Gründung im April 2007 keinen Gewinn gemacht. Ende 2013 läuft die Kooperation zwischen Nokia und Siemens aus. NSN-CEO Rajeev Suri versucht mit einem erneuten Stellenabbau, Kosten in Höhe von 1 Milliarde Euro einzusparen. Bis Ende 2013 sollen 17.000 der weltweit 74.000 Stellen wegfallen – das ist fast ein Viertel der Arbeitsplätze. NSN kündigte zudem weitere Ausgliederungen an.

Wie Leppek gegenüber silicon.de sagte, wurde seit dem Start von NSN in Deutschland bereits 5000 Stellen abgebaut – über Aufhebungsverträge, Ausgliederungen und betriebsbedingte Kündigungen. “Man gewinnt den Eindruck, dass Stellenstreichung eine Kernkompetenz von NSN ist.” Statt über Stellenabbau und Ausgliederungen müsse endlich über die Perspektive von NSN in Deutschland geredet werden.

Verursacher der jetzigen Situation seien nicht die Beschäftigten. Schuld sei eine Führung, die es nicht geschafft habe, Kunden zu halten und zu binden, vernünftige Entscheidungs- und Arbeitsstrukturen zu schaffen und zukunftsweisende Produkte, Lösungen und Services bereitzustellen. Mitverantwortlich für die schwierige Situation bei NSN seien auch die Mütter Nokia und Siemens. “Die einen können es offenbar nicht, die anderen haben viel zu lange nur zugeschaut”, sagte Leppek.

Die IG Metall und Gesamtbetriebsrat fordern, Stellenabbau und Ausgliederungen zu stoppen und über Alternativen zu verhandeln. Der Unternehmenssitz müsse von Finnland nach Deutschland verlagert werden. Durch die Mitbestimmung auf Unternehmensebene sei hier eine effiziente Kontrolle der Unternehmensführung möglich, die dringend notwendig sei.

Tatsächlich befindet sich NSN in einer Lage, die ein Überleben des Unternehmens in seiner aktuellen Form als eher unwahrscheinlich erscheinen lässt. Nach Gartner-Zahlen vom März 2011 war Ericsson im Jahr 2011 der größte Netzwerkausrüster (34,1 Prozent Markanteil), gefolgt von Huawei (15,6 Prozent) und NSN und Alcatel-Lucent mit je 13,2 Prozent.

Laut Hakan Wranne, Analyst bei der Swedbank, haben NSN und Alcatel-Lucent gegenüber Ericsson und Huawei jedoch einen entscheidenden Nachteil: die Vorteile der Größe fehlen. In den vergangenen zehn Jahren hätten die Telefongesellschaften weltweit den Willen chinesischer Netzwerkausrüster ausgenutzt, Marktanteile zu jedem Preis zu erobern. So hätten sie einen Markt geschaffen, in dem nur ein einziges westliches Unternehmen überleben könne: Ericsson. Ericsson sei groß genug gewesen, um von Anfang an mit den chinesischen Wettbewerbern mithalten zu können. NSN und Alcatel-Lucent mangle es dagegen an Größenvorteilen. “Beide Unternehmen bluten.” Auch Motorola habe es an Größenvorteilen gemangelt, das Unternehmen sei daran zu Grund gegangen.

Ein anderes Problem von NSN seien die Schwierigkeiten, die komplexen Strukturen und Produkte von Nokia und Siemens zusammenzuführen, so Wranne. Während es im TK-Markt darum gegangen sei, Antworten auf das explosive Wachsen des mobilen Datenverkehrs zu finden, habe sich NSN darauf konzentriert, sich selbst zusammen zu flicken.

Im August 2011 hatte NSN bereits mit dem Stellenabbau bei der von Motorola übernommenen Netzwerksparte begonnen. Betroffen sind 1500 Mitarbeiter, besonders in den Bereichen GSM und Wimax. Die jetzt angekündigten Stellenstreichungen könnten laut Wranne ein Signal dafür sein, dass der Ausrüster nicht mehr global agieren wird, sondern sich auf Teile des Marktes konzentriert.

Es sei fraglich, ob es in dieser Situation die beste Lösung sei, 17.000 Stellen abzubauen, kommentierte das Wall Street Journal. NSN und Alcatel-Lucent befänden sich jetzt in einer “Abwärtsspirale”, in der immer mehr Telefongesellschaften davor zurückschreckten, mit ihnen ins Geschäft zu kommen. “Würden Sie mit einem Unternehmen Geschäfte machen, dessen Bilanz Sie daran zweifeln lässt, ob es überlebt und seine Versprechen einhalten kann?”

Die Kosten zu kürzen, könnte der letzte mögliche Weg für Nokia und Siemens sein, um ihr “problematisches Kind” loszuwerden, heißt es. Der Versuch, NSN an Finanzinvestoren zu verkaufen, sei in diesem Jahr bereits gescheitert. “Die Margen zu vergrößern, indem man die Kosten für Forschung und Entwicklung verringert, könnte NSN für künftige Bieter attraktiver machen.”

IG-Metall-Mann Leppek glaubt, dass NSN überleben kann. “Wir haben gute Leute.” Es komme jetzt darauf an, die Führung auszutauschen und innovative Angebote zu machen, etwa in Sachen eMobility und Cloud Computing. Beim Produkt-Portfolio dürfe sich NSN nicht selbst “die Arme und Beine abhacken”. Mit Kunden wie der Deutschen Telekom oder Vodafone, die selbst breit aufgestellt seien, sei NSN gut im Geschäft. Für diese Kunden müsse NSN ein breites Angebot aufrecht erhalten. “Wenn Sie in den Supermarkt gehen, erwarten Sie ja auch nicht, nur eine Obst-Abteilung vorzufinden.”