Fachkräftezuzug und Integration – Plädoyer für eine sachliche Diskussion

Der Fachkräftezuzug kann also nicht das alleinige Mittel der Wahl sein. Vielmehr müssen wir auch in eine noch bessere Aus- und Weiterbildung investieren, denn Deutschland war immer ein Ausbildungsland. Aber auch da ist Ehrlichkeit angesagt: Es ist richtig, dass drei Millionen Arbeitslose und eine weitere Millionen in Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen sind. Es ist auch richtig, wenn gefordert wird, dass wir verstärkte Anstrengungen benötigen, das “einheimische Potenzial” zu heben. Aber man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Nicht jeder Arbeitssuchende eignet sich für eine Laufbahn als IT-Experte oder Ingenieur. Das hängt von individuellem Potenzial und Neigungen ab. Wer Menschen vorgaugelt, Deutschland könne den Fachkräftemangel nur über die Fortbildung von Arbeitssuchenden beheben, der spielt mit der Zukunft unseres Landes. Unsere Kunden – dazu gehören auch viele deutsche Globalplayer – fragen derzeit insbesondere hochqualifizierte IT-Experten nach. Diese sollen Projekte umsetzen, die das Geschäft der Kunden und Wachstum sichern. Jemand, der eine kurze Fortbildung im IT-Umfeld gemacht hat, können wir hier nicht ins Rennen schicken.

Die Devise muss daher lauten: Das eine tun und das andere nicht lassen! Egal welche Lösung die Politik anstreben wird, Industrie und Unternehmen sollten das Heft des Handelns selber in die Hand nehmen. So gehen wir beispielsweise eigeninitiativ oder über das IT-Scout-Programm des Bitkom an Schulen, um frühzeitig für die IT zu werben. Der Hintergrund: Eine Studie zur Generation Digital aus dem Herbst 2008 zeigte, dass Uniabsolventen und Berufseinsteiger sich selten für unsere Branche entscheiden, weil diese ein “total uncooles Image” hat.

Viele halten IT-Mitarbeiter für Eigenbrödler, die mit Pizza und Cola alleine vor dem PC sitzen. Dass meine Kolleginnen und Kollegen aber alle in Teams arbeiten und etwa drei Viertel von ihnen regelmäßig bei Kunden sind, das sehen sie leider nicht. Soziale Kompetenz und Offenheit sind bei uns ein absolutes Muss und das versuchen wir in regelmäßigem Dialog mit jungen Menschen zu vermitteln. Wir müssen Interesse wecken, Missverständnisse ausräumen und Erkenntnisse gewinnen, was junge Erwachsene vom Job erwarten, um sie gezielter anzusprechen.

Das gilt aber nicht nur für die IT, sondern für alle technischen und hochqualifizierten Berufe. Im Studienjahr 2009/2010 haben in Deutschland 603.309 Studierende begonnen, davon nur etwa ein Drittel in Mathematik, den Naturwissenschaften und den Ingenieurswissenschaften. Im Bereich der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften haben mit 202.149 Studierenden fast genauso viele begonnen. Und in den Sprach- und Kulturwissenschaften starteten mit 116.423 Studierenden mehr als in den Ingenieurswissenschaften (109.241). Wenn wir den Hightech-Standort Deutschland erhalten wollen, dann müssen wir mehr junge Menschen für technische Berufe begeistern und die oben dargestellte Studienverteilung in Richtung Natur- und Ingenieurswissenschaften verändern.

Hinsichtlich der Frage “Fachkräftezuzug oder Ausbildung?” gilt es also, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Nur so können wir den Wirtschaftsstandort Deutschland und unseren Wohlstand auf Dauer sichern. Ich hoffe, dass das auch die Politik erkennt!

Oliver Tuszik ist Vorstandsvorsitzender des IT-Dienstleisters Computacenter. Mehr über seine Sicht auf aktuelle Themen der IT-Branche lesen Sie demnächst hier bei silicon.de.

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Silicon-Redaktion

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  • Fachkräftemangel?
    Hier mal ein kurzer, persönlicher Erfahrungsbericht -

    http://www.nachdenkseiten.de/?p=6378

    Zugegebenermaßen eine Einzelmeinung - aber letztlich ist der Beitrag von Herrn Tuszic nichts anderes.

    Daneben sollte die Frage erlaubt sein, wie (wirtschaftlich) erfolgreich die (für Zuwanderer) angeblich so viel attraktiveren Länder momentan sind.

  • Fachkräftemangel
    Aus meiner langjährigen Erfahrung, bei der ich bereits einige "Aufs-und-Abs" miterlebt habe, kann ich die Stellungnahme von Herrn Dr. Egg und Herrn Müller voll und ganz bestätigen, es gibt keinen Fachkräftemangel. Es gibt allenfalls einen Mangel in der Industrie, qualifizierte Kräfte angemessen zu beschäftigen, also auch zu einem angemessenen Preis. Aus der Sicht der Industrie kann ich das im Sinne der Wertschöpfung nachvollziehen. So gesehen ist das eine politisch gesellschaftliche Fragestellung:

    Nehmt die zur Verfügung stehenden gut ausgebildeten Fachkräfte und gebt ihnen ein faires betriebliches Umfeld. Gebt ihnen aber nicht das Gefühl, dass sie zu teuer und zu alt sind und eigentlich nicht mehr gebraucht werden.

    Gebt den jungen Fachkräften bzw. dem Nachwuchs eine Perspektive, so dass wieder mehr Anreize geschaffen werden, sich einer langen und guten Ausbildung zu unterziehen. Dann sollte aber auch nicht in gleichem Atemzug an dem Ausbildungsumfeld eingespart werden. Bildung ist in Deutschland der wesentlicher Rohstoff.

    Natürlich ist es in Ordnung, wenn wir Zureisungswilligen ebenfalls eine Perspektive geben und die Möglichkeiten der beruflichen und gesellschaftlichen Integration. Denn zurzeit ist Deutschland in der Tat auch für qualifizierte ausländische Fachkräfte nicht besonders interessant.

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