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Microsoft stößt UNO vor den Kopf

Die Nachricht kam scheinbar völlig überraschend: Microsoft hat sich aus dem UN/Cefact verabschiedet. Die Gruppe ist vor allem für die Entwicklung des E-Business-Standards ebXML verantwortlich. Zur Begründung heißt es aus Redmond lapidar, es gebe “geschäftliche Gründe”. Tatsächlich geht es offenbar um den Umgang der Organisation mit geistigem Eigentum – ein Streitpunkt, der vor einigen Monaten bereits SAP dazu brachte, sich aus der UN/Cefact (United Nations Center for Trade Facilitation and Electronic Business) vorübergehend zurückzuziehen.
“Microsoft bewertet regelmäßig die Maßstäbe für seine Beteiligungen und seine verfügbaren Mittel für effektive Kooperationen. Unglücklicherweise haben wir entschieden, die Beteiligung an der UN/Cefact aus geschäftlichen Gründen zu stoppen und das bedeutet den sofortigen Rückzug aus allen UN/Cefact-Aktivitäten.” Dieser Text aus einer E-Mail von Microsoft Program Manager Dave Welsh an zwei UN-Verantwortliche ist das Einzige, was zu diesem Fall offiziell verlautete. Eine weitere Stellungnahme war auch trotz Nachfrage nicht zu bekommen.

Nur ein kleiner Hinweis eines Microsoft-Vertreters sickerte noch in US-Medien durch. Er erklärte, es sei eine “Frage der Prioritäten”, der Fokus der Standardisierungsgruppe entferne sich von Microsofts Sicht der Dinge. Tatsächlich ist Redmond mit seinen Zweifeln nicht allein.

Nach Angaben von zwei UN/Cefact-Mitgliedern sind mehrere Unternehmen aus den USA und Europa besorgt über den Umgang der Organisation mit geistigem Eigentum. Denn die Richtlinien sehen vor, dass die an der Technologie beteiligten Firmen im Falle eines Rechtsstreits, die Vereinten Nationen schadlos halten müssen. Offenbar hat man bei der UN den Rechtsstreit zwischen SCO und IBM im Hinterkopf, bei dem Big Blue vorgeworfen wird, angeblich illegal SCO-Software in das Linux-Betriebssystem eingebaut zu haben.

Doch die UN/Cefact-Richtlinie stößt auf Unwillen. So hatte bei einem Treffen der Organisation im Mai der SAP-Vertreter angekündigt, dass sein Unternehmen jede Aktivität in dem Gremium aussetzen werde, bis die Frage des intellektuellen Eigentums geklärt sei. Es war nicht der erste Streit hinter den jedoch meist gut verschlossenen Türen der Standardisierungsgruppe.

Im Frühjahr dieses Jahres hatte ein Fall für Schlagzeilen gesorgt, wonach Microsoft versucht haben soll, mit gezielten Zahlungen für UN-Mitarbeiter Front gegen ebXML zu machen. So soll Redmond die Reise von drei UN-Mitarbeitern in sechs Länder bezahlt haben. Kritiker argumentieren, bei der Reise sei es vornehmlich darum gegangen, Werbung für BCF (Business Collaboration Framework) zu machen, einem von Microsoft und IBM bevorzugten Standard. Sowohl Vertreter von Microsoft als auch der UNO wiesen die Vorwürfe zurück. Es habe sich nur um eine bescheidene Spende gehandelt, so Microsoft. IBM war in die Zahlungen nicht verwickelt.

Big Blue hatte dafür zwei Jahre zuvor, also 2002, für reichlich Wirbel in der ebXML-Entwicklergemeinde gesorgt. Damals hatte der Konzern den offenen Standard mit Patentansprüchen sabotiert. Nach scharfer Kritik, hieß es damals aber kurz darauf, man werde keine Lizenzgebühren verlangen. Was blieb, war ein schaler Nachgeschmack. Tatsächlich distanzierte sich IBM durch das spätere Bekenntnis zu BCF erneut von der UN/Cefact.

Microsofts Position war dagegen von Anfang an die eines Außenseiters. Kritiker werfen dem Unternehmen vor, es habe sich erst dann der UNO-Gruppe angeschlossen, als sich ebXML durchzusetzen begann. Redmond habe lediglich versucht die Eigendynamik des Standards zu dämpfen, hieß es.

Wie es scheint mit nur wenig Erfolg. Im September 2003 hatte die UN/Cefact das Projekt für technisch abgeschlossen erklärt. ebXML ist inzwischen in weiten Teilen Europas und Asiens verbreitet und wird auch von mehreren US-Firmen unterstützt. Anfang des Jahres führte auch das US-Pentagon den Standard ein. Fast scheint es so, als kämpfe Microsoft mit seinem Konkurrenz-Standard auf verlorenem Posten. Vielleicht war es diese Erkenntnis die Redmond jetzt dazu bewog, sich zurückzuziehen – schließlich wären auch das “geschäftliche Gründe”.

Silicon-Redaktion

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