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US-Firmenkultur im Vormarsch

Marco Scheurer versäumt es selten, Bewerber für einen Job bei Hewlett-Packard (HP) gleich beim ersten Gespräch reinen Wein einzuschenken. “Bei uns müssen Sie sich immer wieder auf neue Arbeitsbereiche und Menschen einstellen, weil wir überwiegend in zeitlich befristeten Projektteams arbeiten.” Scheuer ist zuständig für die Rekrutierung neuer Mitarbeiter in Böblingen und aufgrund der eigenen Erfahrung hält er es für notwendig, auf gewisse Eigenheiten amerikanischer Unternehmenskultur hinzuweisen.
Er selbst erlebte seinen ersten Kulturschock bei CSC-Ploenzke: “Ich war total erstaunt darüber, wie viele Informationen vom einen auf den anderen Tag an mich weitergegeben wurden”, blickt der ehemalige Marineoffizier zurück. Scheurer hatte damals die Marine verlassen und beim IT- Dienstleistungsunternehmen einen Beraterjob angenommen.

Ploenzke ist die deutsche Tochter der amerikanischen Computer Sciences Corporation. Die Managementmethoden sind daher stark amerikanisch geprägt. Als Soldat war er es gewohnt, Befehlsempfänger zu sein und nur von Dingen zu erfahren, die ihn selbst angingen. In der Business-Welt traut er diese Art der Kommunikation inzwischen eher traditionell deutschen Unternehmen zu.

Als Scheurer vor fünf Jahren zu Hewlett-Packard nach Böblingen wechselte, macht er eine ähnliche Erfahrung wie bei Ploenzke: “Hier wird regelmäßig kommuniziert sowie auch Details.” Bei HP kamen dann noch ein paar Eigenheiten hinzu: Es wird in der Regel in Großraumbüros gearbeitet und jeder ist mit jedem per Vornamen an. Jemand, der Distanz braucht und auch am Arbeitsplatz seinen Privatbereich gewohnt ist, muss sich bei solchen Verhältnissen schon stark umstellen.

Der wesentliche Unterschied zu einem typisch deutschen Unternehmen aber sei, dass man bei Amerikanern mehr Verantwortung bekommt, meint Herbert Schwörer, Diplom-Informatiker und nunmehr seit 20 Jahren bei HP. “US-Managementkultur leitet eher zu eigenem Denken und hoher Selbständigkeit an”, so Schwörer. US-Firmen erwarten von ihren Mitarbeitern zwar viel, dafür seien die Aufgaben aber auch mit wesentlich mehr Verantwortung verbunden als in traditionellen deutschen Unternehmen.

“In Unternehmen mit amerikanischer Firmenkultur geht man davon aus, dass ein neuer Mitarbeiter sehr schnell messbare Erfolge nachweist”, berichtet Dirk Lambert, Personalberater bei Hitec-Consult im hessischen Bad Nauheim, das spezialisiert ist auf die IT-Branche. Ein neuer Kollege in einem deutschen Unternehmen hätte in der Regel mehr Zeit, sich zurechtzufinden.

Derzeit sei es voll im Trend, US-Managementkultur in traditionell deutschen Firmen einzuführen – was viele Mitarbeiter erst mal stark verunsichert. Was damit zuallererst verbunden – und befürchtet – wird, ist die Etablierung einer Hire-and-Fire-Mentalität. “In Firmen mit ausgeprägt amerikanischer Firmenkultur werden Kündigungen schneller und häufiger ausgesprochen”, bestätigt Lambert die andere Seite der Medaille. Andererseits herrsche in den Unternehmen eine gewisse Dynamik, auf deren Wellen man schnell nach oben steigen könne. Dem gegenüber stehe aber das Risiko des freien Falls.

Am Tag des Gesprächs mit Marco Scheurer gab Hewlett-Packard Quartalszahlen bekannt, die unter den erwarteten Ergebnissen zurücklagen. In der Konsequenz trennte sich das Unternehmen von einigen hochrangigen Managern. Schlechte Firmenergebnisse werden in den USA öfters als bei uns mit Personalentscheidungen verknüpft.

Herbert Schwörer kann nach zwei Jahrzehnten bei HP nicht die Theorie bestätigen, dass es bei US-Unternehmen immer nur um den schnellen Erfolg geht. Natürlich seien viele Entscheidungen durch die Börse und Quartalsergebnisse getrieben. Aber das habe auch sein Gutes. “Anstatt nach deutscher Mentalität erst mal zu untersuchen, zu analysieren und sich das ganze noch ein Jahr anzuschauen, wird in US-Firmen eben wesentlich schneller gehandelt”, berichtet er aus seiner Erfahrung.

“Amerikanische Firmen sind darauf ausgelegt, dass kurzfristige Personaländerungen stattfinden”, konstatiert Personalberater Lambert. Das hänge damit zusammen, dass die Unternehmen fähigkeitsbasiert (skill-based) einstellen würden. In der amerikanischen Managementkultur spielt es keine Rolle, wo ein Vertriebsmitarbeiter Verkaufen gelernt hat. Hauptsache er könne es, so Lambert. In deutschen Unternehmen würde oft ein BWL-Studium erwartet und eine gründliche Einarbeitung gewährt, bevor der Mitarbeiter an Umsatzzahlen gemessen würde. Da falle eine Trennung schon schwerer.

Dieter Scheitor, Teamleiter IT Industrie im Vorstand der IG-Metall in Frankfurt, warnt aber davor, bei der Einführung von US-Managementkultur übers Ziel hinaus zu schießen. Schon jetzt treibt die Etablierung von US-Methoden in deutschen Firmen seltsame Blüten. “Offensichtlichstes Beispiel ist der Versuch, den Kündigungsschutz nach Übersee-Vorbild abzuschaffen”, stellt er fest.

Amerikanische IT-Firmen mit Niederlassungen in Deutschland hätten schon den Anfang gemacht. Noch schiebe der Kündigungsschutz dem kurzfristigen Quartalsdenken zumindest bei Personalfragen einen Riegel vor. “Deshalb sollten wir daran unbedingt festhalten”, mahnt der Gewerkschaftler. Er selbst hat seine berufliche Karriere bei Digital Equipment begonnen, dessen Geschäft über Compaq schließlich in die Hände von HP gelangte. Der Widerstand ehemaliger Digital-Mitarbeiter gegen den Verlust ihrer Arbeitsplätze ist in der Branche inzwischen schon fast legendär.

Silicon-Redaktion

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