Kommentar: Die fünf wichtigsten Cloud-Trends für 2022

Viele Wechsel der Unternehmen in die Cloud waren 2021 Schnellschüsse. Das bringt neue Herausforderungen in 2022, sagt Maximilian Hille von Cloudflight.

“In den vergangenen zwei Jahren mussten Unternehmen sich teilweise sprunghaft und weitaus früher als erhofft mit dem produktiven Einsatz von Cloud-Lösungen auseinandersetzen. Für die Resilienz des Geschäftsbetriebs war es teilweise notwendig, sich kurzfristig und mit einer nicht optimalen Strategie in die technische Umstellung zu begeben. So haben sich auch einige 1-zu-1-Migrationen ergeben, die wenig Mehrwert bieten, aber oft notwendig schienen. Dies gilt sowohl für SaaS-Angebote, als auch für die gesteigerte Nutzung von Cloud-Infrastrukturen und -Plattformen. Viele Unternehmen haben mittlerweile jedoch die Chance genutzt und damit begonnen, über Cloud-Architekturen eine Harmonisierung ihrer IT-Landschaft voranzutreiben.

Für 2022 bedeutet das, dass gewonnene Erkenntnisse in langfristig orientierte Investments und Projekte einfließen werden. Unternehmen werden neu bewerten, welche Cloud-Strukturen – Infrastruktur, Container, Serverless-Dienste, Plattformen – noch relevant und wirtschaftlich sind. Gleichzeitig werden sie die ersten Früchte neuer Business-Modelle ernten und ihren Kunden neue Dienste und Apps zur Verfügung stellen können, die auf der neuen Architektur basieren. Daraus ergeben sich aus meiner Sicht fünf  Cloud-Trends für 2022.

1. Cloud-native Plattformen: Cloud Native 2.0
Ein reines Rehosting von alten Anwendungen in der Cloud wird abgelöst durch Cloud-native Plattformen, die Infrastruktur, Container, Services und APIs individuell kombinieren.  Unternehmen werden versuchen, den drohenden Vendor Lock bei den Services – nicht jede Cloud-Plattform bietet die gleichen Dienste an – durch Open-Source-Tools möglichst gering zu halten. Dazu gehört auch eine Validierung der zahlreichen verschiedenen Plattform-Dienste auf Relevanz fürs eigene Business. Ein Lock-in lässt sich selten im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit und Komplexität vermeiden. Unternehmen gehen daher zunehmend bewusst, aber nicht übereifrig, größere Lock-in-Risiken ein.

2. Composable Enterprise über API-Architekturen
Auch heutzutage hängen viele neue Produkte und Business-Modelle von langjährig etablierten Prozessen, Anwendungen und Business-Logiken ab. Bevor die Unternehmen ihre Backend-Logiken aber aufwendig spiegeln und komplett in der Cloud ersetzen, helfen APIs und Abstraktionsebenen dabei, sie für Dienste und Microservices zugänglich zu machen. Sie bilden einen zentralen Hub, der Enterprise-Anwendungen und Cloud-Lösungen miteinander verbindet. So können Integration und Digitalisierung vorangetrieben werden, ohne in die Kernprozesse der traditionellen IT eingreifen zu müssen.

3. Spezielle Industrie-Cloud-Services
Viele Unternehmen suchen nach speziell zugeschnittenen Cloud-Angeboten, die die Besonderheiten der jeweiligen Branche berücksichtigen. Bis dato haben gerade die großen Anbieter nur Bundles bestehender Standard-Services als „Industrie-Angebote”verkauft. In diesem Jahr wird jedoch die Nachfrage nach Industry Clouds und standardisierten Lösungen für spezifische Einsatzbereiche wieder wachsen. Auch im Umfeld von GAIA-X gibt es einige Ansätze, wie beispielsweise Catena-X, die genau in diese Richtung gehen. Hyperscaler, Industrie-Software-Anbieter, aber auch Anwendergemeinschaften werden diese Entwicklung vorantreiben.

4. Cloud-Services ersetzen Hardware-Investitionen
Eigene IT-Infrastrukturen und Systeme in Hardware aufzubauen, ist häufig kostenintensiv, komplex und derzeit zusätzlich durch die Chip- und Halbleiterknappheit erschwert. Daher werden Unternehmen vor allem Services von Cloud-Hostern nutzen, um Skaleneffekte zu erzielen. Davon profitieren auch spezialisierte und regionale Service-Anbieter. Diese Verlagerung gilt ebenso für Cybersecurity-Anwendungen, bei denen Zero Trust und ähnliche Konzepte, die mehr auf Software und Governance als auf Hardware setzen, deutlich an Relevanz gewinnen. IT-Sicherheit wird 2022 weniger technisch und reaktiv, sondern stärker kulturell verankert und proaktiv (zunehmend auch durch KI) sein.

5. Anywhere Computing
Die Datenverarbeitung an einem zentralen Ort ist ein Modell von gestern. Vernetzte Fahrzeuge und Maschinen im IoT-Netz erzeugen beispielsweise sekündlich große Datenmengen, die in Echtzeit verarbeitet werden müssen. Anwendungen und Services müssen daher in der Lage sein, an jedem Ort und zu jeder Zeit eine hohe Verarbeitungsleistung anbieten zu können. Dies gelingt nur mit Cloud-Infrastrukturen und Edge Computing, die ortsunabhängig die notwendige Performance zur Verfügung stellen.

Unternehmen müssen 2022 nach der kurzfristigen Krisenbewältigung zu einer langfristigen, nachhaltigen und umsetzungsorientierten Cloud-Strategie finden und dafür die notwendigen Fähigkeiten und Skills entwickeln. Sie sollten nicht abwarten, sondern proaktiv investieren und darauf achten, nicht nur Teile der Organisation weiterzuentwickeln. Dafür ist im Cloud- und Service-Kontext ein hoher Grad an Eigenverantwortung und Geschwindigkeit notwendig.

Ein besonderes Augenmerk in der Cloud-Strategie sollen CIOs und andere Digitalentscheider darauf richten, keine reinen Migrationen vorzunehmen. Vielmehr gilt es, genau auf die Anwendungsfälle und Ziele zu schauen und dafür auf spezifische Cloud-Lösungen in unterschiedlichen Ausprägungen (Private, Public, Hyperscaler, Open-Source) zu setzen.

 

Maximilian Hille
ist Head of Consulting bei Cloudflight. Mit über 10 Jahren Erfahrung als Analyst und Consultant berät er Unternehmen in der DACH-Region bei ihrer Digitalisierungs- und Cloud-Strategie bis hin zur Architektur. Seine Fokusthemen sind Cloud-native- und Public-Cloud-Plattformen, API-Ökosysteme sowie Container- und Cloud-native Technologien.