Meinung: Viele Unternehmen digitalisieren Unsinn

Es fehlt den meisten Unternehmen an den Grundlagen, an Struktur und Logik im Vorgehen, sagt IT-Experte Oliver Meinecke.

Grundlage jedes Digitalisierungsvorhabens sind die Daten. Die aber sind in den meisten Unternehmen eine Katastrophe. Hier muss zunächst aufgeräumt werden. Dabei ist die Reduktion unnötiger Daten der Beginn des Prozesses. Die verbleibenden Daten müssen dann sowohl semantisch als auch syntaktisch aufbereitet und in ein valides System gebracht werden. Da viele Unternehmen über Jahrzehnte hinweg Datenmüll gesammelt haben, wird das eine große Herausforderung sein. Dieser muss man sich stellen. Ohne brauchbare Daten, keine vernünftigen digitalen Prozesse.

Überalterte, unnötig oder ineffektive Prozesse 

Auch bei den unternehmensinternen Prozessen besteht Nachholbedarf in Sachen Reduktion und Ordnung. Viele Prozesse sind überaltert, unnötig oder ineffektiv. Sie werden in Einsen und Nullen abgebildet und in die neue digitale Welt übertragen. Es macht aber keinen Sinn, unnötige und letztlich kontraproduktive Prozesse zu digitalisieren. Auch hier muss zunächst aufgeräumt und optimiert werden. Wer seine Prozesse nicht prüft, optimiert, reduziert und effektiviert, sollte mit Digitalisierung erst gar nicht anfangen. Zunächst müssen die Abläufe stimmen und durchdacht sein. Erst dann hat es Sinn, sie digital abzubilden.

Ebenso braucht es eine betriebswirtschaftliche Analyse. Produkte und Serviceleistungen, die ihren Lebenszyklus bald überschritten haben, brauchen nicht mehr unbedingt ein digitales Update. Ohne vorheriges Downsizing in allem, ohne Klarheit darüber, was die nächsten Jahre überleben wird und was überhaupt eine Zukunft hat, muss jede Digitalisierungsstrategie scheitern. Digitalisieren ist aufwendig und kostet Geld. Deswegen hat es nur Sinn, die Prozesse und Services zu digitalisieren, die auch langfristig ertragreich sind und eine nachvollziehbare Verbesserung bringen. Was nicht performt, muss abgeschafft werden und gehört nicht digitalisiert. Die Dinge werden nicht besser, nur weil sie digital werden. Was nichts taugt, muss entsorgt werden, und zwar vor, nicht während eines Digitalisierungsprozesses.

Nicht jeder Trend ist sinnvoll, schon gar nicht für jeden.

Die Cloud-Gläubigkeit ist ebenso eine Gefahr. Viele denken, wenn sie Daten und Prozesse in der Cloud hinterlegen, erhöht sich die Sicherheit und Verantwortung kann abgeben werden. Das aber stimmt oft nicht. Die Cloud birgt auch Gefahren, die nicht zu unterschätzen sind. Es muss Daten- und Systemautonomie angestrebt werden, um Prozesse besser individuell steuern zu können. Daten und technische Prozesse abzugeben, ist immer auch ein Risiko. Zu jeder Digitalisierungsstrategie muss es eine Resilienz- und Risikoanalyse geben. Es gibt viele Prozesse, die nicht in die Cloud gehören und die nicht von Providern erledigt werden sollten. Häufig wird falschen Versprechen geglaubt, die dazu führen, dass Chancen maximal überschätzt und schön gerechnet werden, Risiken aber unterschätzt und kleingerechnet. 

Ich empfehle, sich zu besinnen, zu reduzieren und zu optimieren bevor man digitalisiert. “Shit in, shit out”, lautet ein bekannter Satz aus dem Projektmanagement. Dieser gilt umso mehr bei technologischen Umbrüchen, wie sie aktuell in nahezu allen Unternehmen ablaufen. Nur wer analog aufräumt, kann auch digital erfolgreich werden. Alles andere verbrennen nur Geld und andere wertvolle Ressourcen. Es braucht ein Bewusstsein für eine sinnvolle Digitalisierung. Was es nicht brauche, ist Naivität und Begeisterung für alles, was schön klingt, aber in der Praxis noch keine Erfolge gezeigt hat.

 

Oliver Meinecke

ist IT-Projektmanager und Experte rund um die Themen Digitalisierung, IT-Intelligenz, IT-Aktualität, IT-Effizienz, Optimierung der IT-Infrastruktur und Homeoffice.