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Besorgnis bei WLAN-Anbietern wegen LTE-AAA-Standard nimmt zu

Die Versteigerung von Mobilfunkfrequenzen war in den vergangen Jahren jedes Mal ein Fest für die Finanzminister: Für etwas, das der Staat weder benötigte noch vermisste, erhielten sie unverhofft Milliarden. Bei den Netzbetreiber, die sich in den ersten Runden in Erwartung nicht enden wollender Einnahmeströme und ihrer Fortschrittseuphorie rücksichtlos überboten, ist dagegen in letzter Zeit Ernüchterung eingekehrt: Sie merkten, dass auch der Mobilfunk ein Verdrängungsmarkt ist, in dem Verdrängung am besten über günstigere Preise oder deutlich mehr Leistung zum selben Preis funktioniert.

Gerade freuten sich die WLAN-Anbieter noch über die Einführung des leistungsfähigeren Standards 802.11ac Wave 2, bald droht ihnen durch LTE-AAA möglicherweise unangenehm Konkurrenz im 5-GHz-Band (Bild: Linksys)

Mehr Leistung wiederum heißt oft mehr Datendurchsatz, wodurch Installation und Betrieb der Netze teurer wird. Ein Ausweg scheint der in Vorbereitung befindliche Standard LTE-AAA (Licensed-
Assisted Access) zu sein. Mit ihm wollen sich die Netzbetreiber die lizenzfrei (und damit kostenfrei) nutzbaren Frequenzen im 5 GHz-Band erschließen. Dazu sollen mehr aber kleinere LTE-Funkzellen eingerichtet werden, die dann den zunehmend Datenverkehr zwischen Mobilgeräten der Kunden und dem Netz abwickeln.

Erste Pläne dafür hatte Dino Flore, Vorsitzender der TSG RAN, die wiederum Teil des Industriekonsortiums 3rd Generation Partnership Project (3GPP) ist, bereits im Juni 2014 auf einem Workshop im südfranzösischen Technologiestandort Sophia Antipolis vorgestellt. Darin erklärte er, die Nutzung des unlizenzierten Frequenzspektrums in Fällen, in denen es sich anbiete, sei ein “wesentliches Element, um künftige Anforderungen an den Datenverkehr zu erfüllen.”

Im Mittelpunkt solle dabei der Frequenzbereich im 5-GHz-Band stehen, idealerweise solle der neue Standard aber frequenzunabhängig sein, damit mit ihm später auch andere Frequenzen erschlossen werden können – oder zugemüllt werden könnten, wie die Anbieter von WLAN-Produkten fürchten.

Denn die Aussagen von Seiten der 3GPP (PDF), man werde sich mit den Gremien der IEEE darum bemühen, Wege zu finden, wie eine Koexistenz mit den etablierten WLAN-Standards möglich ist, die im selben Frequenzband funken, sind alle noch recht vage. Der Verweis, man könnte sich ja “möglicherweise an den Methoden orientieren, die bereits erprobt sind”, um mehrere WLAN-Access-Points nahe einander zu betreiben, erscheinen den WLAN-Vertretern offenbar eher als Beschwichtigung, denn als echtes Bemühen mit dem Ziel ein Einvernehmen zu erzielen. Denn parallel dazu wurden bereits diverse Feldversuche in Angriff genommen, bei denen eine Vorabversion von LTE-AAA zum Einsatz kam, bei der auf friedliche Koexistenz kein Wert gelegt wurde.

Einsatzszenarien für LTE-AAA laut einer Präsentation von Dino Flore, Vorsitzender der TSG RAN (Screenshot: silicon.de)

Das rief im Februar die Wi-Fi-Alliance auf den Plan, in der quasi alle Anbieter von WLAN-Produkten zusammengeschlossen sind. Die erklärte damals, dass ihr diese forschen Vorstöße nicht verborgen geblieben seien und gab zu bedenken, dass noch nicht standardkonforme Systeme ohne Koexistenz-Mechanismen, “Milliarden von Wi-Fi-Nutzern, die heute auf das 5-GH-Band angewiesen sind, negativ beeinflussen könnte”. Man sei grundsätzlich damit einverstanden, dass der Frequenzbereich geteilt werden könne, vorausgesetzt, die Aufteilung gehe fair vor sich. Gleichzeitig forderte sie alle beteiligten Parteien auf, weiter daran zu arbeiten, die Risiken in der Praxis gemeinsam zu erforschen.

Sicht der deutschen Anbieter

In Deutschland trat zur CeBIT 2016 AVM als erster Mahner auf den Plan. “Wir betrachten es mit Sorge, dass die Mobilfunker nun nach diesem eigentlich für die Allgemeinheit gedachten Frequenzband greifen“ erklärte damals AVM-Vorstandssprecher Johannes Nill auf einer Presseveranstaltung.

Um seinen Standpunkt zu untermauern, zitierte er die die Bundesnetzagentur, die erklärt habe, das 5-GHz-Frequenzband sei für WLAN “zur Nutzung durch die Allgemeinheit” vorgesehen. Er sehe jetzt allerdings die Gefahr, dass die Mobilfunkprovider auf dieses Frequenzband zugreifen. “Das könnte bedeuten, dass kostenpflichtige LTE-Dienste über freie Frequenzen abgewickelt werden”, so Nill, wodurch es “zwangsläufig zu Einschränkungen bei der WLAN-Nutzung” kommen werden, weil die LTE-Zellen im WLAN-Band das vor allem in Ballungsräumen ohnehin schon recht belastete Frequenzband noch mehr belasten würde.

Ralf Koenzen, Geschäftsführer des deutschen Netzwerkherstellers Lancom (Bild: Lancom)

Ähnlich hat sich jetzt auf Ralf Koenzen, Geschäftsführer des deutschen Netzwerkherstellers Lancom, gegenüber den Neuen Zürcher Zeitung geäußert. Koenzen weist nun vor allem darauf hin, dass die Mobilfunkindustrie und ihr Standardisierungsgremium 3GPP ordentlich aufs Tempo drücken: Der Standard könnte ihm zufolge noch dieses Jahr verabschiedet werden, die ersten Produkte sollten laut Qualcomm bereits 2017 auf den Markt kommen.

Für Skepsis sorgt dem Bericht der NZZ zufolge sowohl bei AVM als auch bei Lancom, dass sie und ihre Wettbewerber aus dem WLAN-Bereich nicht in die Tests einbezogen werden und keine Möglichkeit haben, die Aussagen der Mobilfunkfirmen in Bezug auf einen Parallelbetrieb der beiden Technologien zu überprüfen. Die Netzbetreiber kontern, es gehe lediglich darum, die Machbarkeit zu erproben und Erfahrungen mit der Technik zu sammeln, nicht darum, “irgendetwas zu beweisen”.

Dass es aber grundsätzlich nicht zum Besten steht, zeigt auch, dass ein Treffen auf Einladung der Bundesnetzagentur kürzlich ergebnislos geblieben ist. So wie es aussieht, steht der Branche also ein heißer Sommer bevor. Denn die WLAN-Firmen werden sich mit allen Mitteln dagegen wehren, Ende des Jahres einfach vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.

Redaktion

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