Die Krise als Chance

Was ist ein Brand Voice ?

ZWANG, ZWECK, OPTIMISMUS.
In der Regel geht es schnell. Kaum sind die elendigen Folgen einer wie auch immer benannten Krise durch die Register betroffener Branchen dekliniert, folgt zügig die gute Nachricht: Hurra! Die Krise ist eine Chance! Da sind sich Feuilletonisten, Analysten, Philosophen, Soziologen, Influencer, Theologen und »Zeit«-Geister ausnahmsweise einig.

Obwohl: Manche unter ihnen sind sich in Texten und Talkrunden am Ende doch auch wieder nicht so ganz sicher… – und formulieren ihre unausgesprochenen Restzweifel dann im Imperativ: »Wir müssen diese Krise als Chance begreifen!«

MÜSSEN WIR DAS?

Weil uns gar nichts anderes übrig bleibt? Wollen wir das, weil das soziale und marktwirtschaftliche Miteinander die permanente Bereithaltung eines Maßnahmenkatalogs erfordert? Die Illusion, aus allem etwas machen zu können, ist mehr als systemrelevant, sie ist systemimmanent. Das Vertrauen auf eine Lehre, die sich ziehen, auf eine Maßnahme, die sich ergreifen lässt, ist quer durch alle gesellschaftlichen Bereiche unerschütterlich. Folglich wäre ein gesellschaftlicher Leistungs- und (somit auch) Hoffnungsträger, der vor Belegschaft, Aktionäre, Kunden oder Öffentlichkeit tritt, schlecht beraten, wenn er außer »Also ich sehe schwarz!« nichts zu sagen hätte.

SEHNSUCHT ODER ZUKUNFT?

Selbst aus volkswirtschaftlichen, politischen und sozialen Krisen oder Schieflagen einen Mehrwert zu generieren, ist dabei weniger hohe Kunst von Staats- und Wirtschaftslenkern, die man in das Durchhalteparolen-Regal mit der Aufschrift »dem Kapitalismus geschuldet« räumen könnte. Sie ist schlicht Ausdruck der menschlichen Sehnsucht nach Handlungsfreiheit und Zukunft. Hierzulande trägt dieses Streben den schönen Namen »Hoffnung«. Und die stirbt bekanntlich zuletzt.

Müssen wir darob verzweifeln und alle positiven Krisenmehrwertsprognosen als Selbsterhaltungsopium enttarnen? Uns ärgern, dass wir einmal mehr vom und mit System gefoppt werden? Sicher nicht. Schauen wir uns einige der frohen Botschaften an – und entspannen uns. Denn es gibt ihn tatsächlich, den aus der Krise zu generierenden Mehrwert, man muss ihn nur finden.

Natürlich wollen wir es uns nicht zu einfach machen und den Erfolg dort suchen, wo der Lockdown ihn direkt selbst erzeugte, etwa im Onlinehandel. Oder nun gerade in der, naja, sagen wir flachhumorig mal … in der Mund-Nasen-Masken-Produktion.

KREATIVE BÜHNE.

Reizvoller ist die Suche daher in Bereichen, die durch Schließungen massiv betroffen sind. Wo Händler, Gastronomen und Kunden auf unterschiedlichen Seiten verschlossener Türen standen oder noch stehen. Dort, wo keine noch so gut erdachte und gemeinte Idee auch nur annähernd in der Lage ist, online und digital aufzufangen, was analog nicht in Auftragsbüchern und Kassen ist. Reden wir von Branchen, deren Geschäft ein Greifbares ist, eines, das von Sehen, Tasten, Schmecken, von Haptik und Live-Erlebnischarakter lebt. Reden wir besser von etwas, an das nach Fluglinien, Hotellerie, Autoindustrie und vielem anderen mehr erst in siebter oder achter Linie gedacht wird. Reden wir vom Wahren, Schönen, Guten – von der Kunst.

Regt sich im Handel und in Schulen längst wieder Leben, profitiert das kulturelle Leben als letztes und weniger von Lockerungen. Wenn Kulturveranstaltungen überhaupt stattfinden dürfen, sind sie zahlenmäßig weitaus stärker beschränkt als etwa die Gastronomie. Theater und Konzertsäle sind zu, die Hochkultur-Klientel gehört überwiegend nicht zu den Digital Natives. Theater im Fernsehen oder gar im Internet geht eigentlich gar nicht. Und doch ist auffallend, dass sich die Bühnen im Netz als extrem kreativ erweisen, wenn es um neue Formate geht, die über Trailer, Spielplanbewerbung und Künstlerporträts hinausgehen.

PRÄSENZ UND MANKO.

Überfällig regt sich daher ein konstruktiver Kulturpessimismus, der sich gegen die Überzeugung wendet, Kultur zum verzichtbaren Unterhaltungsgegenstand herabzustufen, die in der aktuellen Krise allenfalls nachgeordnet Beachtung findet. Vergessen wird dabei, dass Kultur ein unverzichtbares Resonanzmedium ist. Und zwar in der ganzen Bandbreite, vom hochsubventionierten Staatskulturbetrieb, bis zur Kleinkunst oder der Freien Szene. Unabhängig von der Institutionsgröße sind Initiativen gefragt, die die Resonanzkraft belegen und den Betrieb aufrechterhalten. Auch die hier ausgewählten Beispiele sind fraglos nicht in der Lage, das Präsenz-und Kassenmanko aufzufangen. Nutzlos sind sie dennoch nicht.

THEATER IN DEN KINOCHARTS.

Beginnen wir mit den als elitär, weil hochpreisig verschrienen Salzburger Festspielen. Im eigentlich groß zu feiernden 100. Jahr ihres Bestehens haben sie unter aufwendigen und kostspieligen Sicherheitsvorkehrungen immerhin stattgefunden. Und verzeichnen ein eklatantes Plus – beileibe kein finanzielles, aber eines in Sachen Aufmerksamkeit. Noch nie waren die Zuschauerquoten der unterschiedlichen TV-Übertragungen so hoch. Außerdem wurden zeitversetzt Veranstaltungen auf der Festspiel-Homepage gestreamt. Mehr noch: Erstmals wurden auch Vorstellungen (die Strauss-Oper »Elektra« und der Schauspiel-Klassiker »Jedermann«) live in österreichische, deutsche und russische Kinosäle übertragen und schafften es – trotz Abstandsregeln – gar in die Kinocharts.

FINDE DEN MEHRWERT!

Anders ging die renommierte Ruhrtriennale, ein Festival, das jedes Jahr zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler einlädt, die monumentale Industriearchitektur der Metropolregion Rhein-Ruhr zu bespielen, mit dem Mangel um. Zwangsläufig, denn das Festival wurde Covid-19-bedingt abgesagt. Hallen, Kokereien, Maschinenhäuser, Halden und Brachen des Bergbaus und der Stahlindustrie waren nun keine Spielorte für Kunst an den Schnittstellen von Musiktheater, Schauspiel, Tanz, Performance und Bildender Kunst. Stattdessen regiert dort nun wieder der altbekannte Leerstand. Darin, diesen zu verwalten, ja zu bespielen, sahen die Veranstalter eine zündende Idee: Die Ruhrtriennale 2020 lud mit einer digitalen Sammlung von Stimmen ursprünglich eingeladener Künstlerinnen und Künstler zu einem »Archiv der verlorenen Ereignisse 2020«. In einer Vielzahl von Video-, Audio- und Textbeiträgen, einer Art digitales Magazin, stellten Kunstschaffende Arbeiten, die für die Ruhrtriennale geplant waren, in den Mittelpunkt und machten damit Veränderungen ihrer Inhalte und Arbeitsweisen durch die Pandemie sichtbar. Das ersetzt das Festival nicht, zeigt aber auch einem Publikum ohne Eintrittskarten künstlerische Aspekte, die es sonst nicht erfahren hätte.

VIRTUELLE KUNSTMESSE.

Blicken wir auf die Bildende Kunst. Der Mannheimer Galerist Johann Schulz-Sobez veranstaltete in seiner Prince House Gallery die »Artfair Mannheim«, eine virtuelle Kunstmesse, die es so noch nicht gab. Neben 800 Exponaten und übertragenen Live-Gesprächen im virtuellen Auditorium konnten Kunstinteressierte in Chats direkt mit Künstlern und Galeristen reden. Freilich, das Haptische kommt dabei zu kurz. Bildende Kunst bietet sonst eine sehr analoge Kulturbegegnung. Dass eine virtuelle Kunstmesse kein Ersatz für eine physische Messe ist, weiß auch Galerist Schulz-Sobez, verweist aber durchaus darauf, dass Instagram-Likes längst in der Lage sind, den Wert von Kunstwerken zu steigern. Digitale Formate spielen in der Zukunft eine größere Rolle und brechen die Konventionen des Kunstmarkts auf. Den Fokus (im Rahmen eines Krisenmanagements) daher schon jetzt auf Mitgestaltung und Interaktivität zu legen, scheint ein guter Plan zu sein. Mehr Umsatz bringt das zunächst nicht, weiß der Galerist. Anlass seiner ungewöhnlichen Aktion war daher weniger ein Wettbewerbsgedanke als der Impuls, durch Synergien einen Mehrwert zu stiften.

TANZ IM NETZ.

Es geht auch mit weniger Hochkultur, mehr Mainstream – und noch mehr Mitmachen: Der Stuttgarter Tänzer und Choreograph Eric Gauthier hat für »bwegt«, die Mobilitätsmarke des baden-württembergischen Verkehrsministeriums, zehn niedrigschwellige Tanzvideos gedreht und während des Corona-Lockdowns Hunderttausende dazu gebracht, bei »Erics Tanztee« in Wohnzimmern oder auf Terrassen Salsa, Rumba und Cha-Cha-Cha zu tanzen.

Über 1,5 Millionen Menschen haben die Videos über YouTube und Facebook abgerufen und so »Erics Tanztee« zu einem der erfolgreichsten Social-Media-Projekte eines Choreographen in Deutschland gemacht. Live-Besucher in das Theaterhaus Stuttgart hat das heimische Mitmachvergnügen der Gauthier Dance Company zunächst keine gebracht. Die Krise ist eine Krise und ein Mangel bleibt ein Mangel, aber einen Chancen-Mehrwert hat der künstlerische Leiter Eric Gauthier seiner Compagnie dennoch generiert: durch gesteigerte Popularität, einen höheren Wiedererkennungswert – und als gesponserter Werbeträger des baden-württembergischen Verkehrsministeriums.

DAS MEHR DES WENIGERS.

Wir müssen die Krise nicht als Chance begreifen. Man braucht sie sich weder schön reden, noch schön rechnen. Und nein, weniger ist nicht mehr. Aber gleichwohl als Ansporn für neue Formate und Formen außerhalb unseres jeweiligen Business as usual ist die Krise immerhin nutzbar. Jetzt ist die Zeit für individuelle Lösungen, für kreative Ausbrüche aus dem Üblichen. Und auch höchste Zeit, sich für eine digitale Zukunft zu rüsten. Wie der Blick auf die Kunst zeigt: Auch »Produkte« und Branchen, die sich online immer noch ein wenig fremd fühlen, die auf Live-Performance, persönlichen Kundenkontakt, Haptik und körperliche Erfahrbarkeit setzen, haben erhöhte Chancen auf Profits, wenn sie ihre Formate erweitern, ihren Online-Auftritt neu denken – und Beratung durch Spezialisten suchen.

Nicht nur in Sachen analoger Kunst bleibt Gewissheit, dass digitaler Einsatz kein Ersatz und keine vollwertige Kompensation sein kann. Aber die kreativen Maßnahmen des Anstatts ermöglichen durchaus ein kleines bisschen Mehr im Weniger: es kann persönlicher, emotionaler, kleinteiliger und privater… und somit auch machbarer sein. Und Machbarkeit ist nicht wenig, sagte die Hoffnung…

ÜBER RALF-CARL LANGHALS.

Ralf-Carl Langhals studierte lange rat- und erfolglos Jura. Dass dieser Studiengang den Geisteswissenschaften zugerechnet wird, will ihm bis heute nicht wirklich einleuchten. Bei Germanistik und Romanistik gelang ihm das schon besser. Verfeinert durch Theater- und Musikwissenschaft arbeitete er nach Studien in Mannheim, Berlin und Nizza als Regieassistent und Dramaturg an verschiedenen deutschen Theatern. Schließlich wechselte er die Seiten des Vorhangs und schrieb von nun an als freier Theaterkritiker unter anderem für den SWR, Die Welt, Frankfurter Rundschau oder Theater der Zeit. Die Quadratur des Kreises gelang ihm nicht, doch da der überzeugte Kurpfälzer immer wieder um die Quadrate kreiste, fasste er 2006 als Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen Fuß, wo er für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance zuständig ist.

Autor: RALF-CARL LANGHALS

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