Vizes, Proxies und Deputies

Es ist die Woche der Stellvertreter, jener also, die mit den Chefs Führungs-Teams bilden. Und die Aufgabenteilung innerhalb solcher Teams sieht nun mal vor, dass die Stellvertreter die Arbeit erledigen und dass sie da sind, wenn die Chefs schöpfen.

Deshalb an dieser Stelle: ein Essay für und über Stellvertreter. Dafür ist jetzt genau die richtige Zeit. Denn wenn die Chefs wieder da sind, interessiert sich ja niemand mehr für die, die sie vertreten, wenn’s was zu arbeiten gibt.

Das beste Beispiel für einen Stellvertreter ist jener, den man mit dem entsprechenden Wort aus dem Sanskrit bezeichnet, der Avatar. Populär wurde er im Web. Und der Avatar, den James Cameron in Hollywood produzierte, spielte im vergangenen Jahr 2,7 Milliarden Dollar ein.

Und das ist wesentlich für einen Stellvertreter: Er muss etwas bringen. Denn er wird stets an dem Beitrag gemessen, den er leistet. Einen, der vor allem zur allgemeinen Erheiterung beiträgt, etwa nennt man Vice-President.

Wiederum eher Freudlosigkeit verbreitet der vornehmste aller Stellvertreter, jener, der in Rom seinen Arbeitsplatz hat. Aber auch er und sein Team zaubern gelegentlich ein befreiendes Lachen in die Gesichter ihrer Mitmenschen, wenn auch nicht immer aus freien Stücken.

Diese Woche etwa warnte der Bischof von Córdoba Demetrio Fernández vor der UN-Organisation UNESCO, weil die plane “die Hälfte der Weltbevölkerung in 20 Jahren homosexuell werden zu lassen” (zitiert nach Süddeutsche Zeitung vom 3.1.2011). Ein wahrhaft göttlicher Witz!

Kein sterblicher Satiriker hätte vermocht, sich Derartiges auszudenken. Es muss eine höhere Macht gewesen sein, die sich für diesen Scherz eines ihrer irdischen Werkzeuge bedient hat.

Und wer weiß, vielleicht wollte seine Exzellenz ja gar nicht in erster Linie der Sünde Einhalt gebieten, sondern vielmehr einen unwiderlegbaren Gottesbeweis liefern. Zu solchen Höchstleistungen sind mittlere Chargen fähig, kaum dass der oberste Chef einmal 2000 Jahre nicht mehr vorbeigeschaut hat.

Apropos Leistung: Morgen, am Donnerstag, findet das Dreikönigstreffen der FDP statt. Eine Partei, die schafft, wofür man ansonsten mindestens zwei braucht.

Das Kürzel steht für Freie Demokratische Partei. Es bedeutet aber auch Factitious Disorder by Proxy oder auf Deutsch: Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. So nennt es der Psychologe, wenn jemand laut über etwas klagt, was er selbst verursacht hat.

Die FDP nun – die von Westerwelle, nicht die von Münchhausen, hier muss man sehr fein unterscheiden – sie klagt gerne laut über den Staat, vor allem weil er Steuern erhebt. Und: Sie hat diesen Staat geprägt. In Deutschland war sie bislang insgesamt 42 Jahre an der Regierung, so lange wie keine andere Partei.

Das ist die FDP – die von Westerwelle und die von Münchhausen – die Factitious Disorder by Proxy. Die FDP stellt in der Regierung selbstverständlich traditionell den Vizekanzler, also den Stellvertreter.

Der Schreiber war übrigens auch einmal ein Leistungsträger, Stellvertretender Chefredakteur (Deputy Editor in Chief). Und in den ersten Tagen des Jahres saß unsereins deswegen einsam in den Redaktionsräumen und suchte Trost in der Schrift. Nein, nicht in jener, die der römische Vice-President gelegentlich zitiert, sondern in der schriftlichen Fassung eines Songs der Rolling Stones, The Under Assistant West Coast Promotion Man (Stellvertretender Gruppenhilfsbetreuer an der Westküste).

“Well, I’m sittin’ here fig’rin’ just how sharp I am”, heißt es darin so schön: “Ich sitze hier und sag’ mir, dass ich mächtig auf Draht bin.”

Silicon-Redaktion

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