Experten: Deutschland ohne Atomstrom möglich

Vielleicht spiegelt der Blick auf Börsenparkett die aktuelle Stimmungslage am besten wieder. Nicht nur der DAX, nahezu alle weltweiten Börsenindizes, sind nach den Katastrophennachrichten aus Japan auf Talfahrt. Betroffen sind alle Branchen. Im TecDAX allerdings sieht die Welt anders aus: Dort sind unter anderem die Anbieter alternativer Energien gelistet – ihr Kurs schoss zwischenzeitlich um bis zu 50 Prozent in die Höhe.

Experten wie Siemens-Österreich-Chef Wolfgang Hesoun erwartet nach der Atomkatastrophe in Japan international eine Wende in Richtung erneuerbare Energien. Der bereits vorherrschende Trend werde sich durch die Diskussion über die Kernenergie sicherlich zusätzlich verstärken.

Andere warnen bereits jetzt vor den Kosten, die auf die Verbraucher durch einen Ausstieg aus der Atomenergie zukommen könnten. Darunter RWE-Chef Jürgen Grossmann. Es sei zwar richtig, auf erneuerbare Energien zu setzen und diese auszubauen, “aber man muss wissen, welchen Preis man dafür bezahlen will”, sagte Großmann der Wochenzeitung Zeit nach einer Vorabmeldung vom Dienstag. Billige Energie und zugleich ein kompletter Umbau der Stromversorgung seien “eine Illusion”.

Auf der anderen Seite stehen beispielsweise Berichte, wonach es verhältnismäßig einfach möglich wäre, 60 europäische Atomkraftwerke zu ersetzen – mit Strom aus norwegischer Wasserkraft. Konkret geht es um das Projekt Norger, ein Kabel von Norwegen nach Deutschland über das der saubere Strom aus Skandinavien zu uns fließen könnte.

Damit dieses Kabel gelegt wird, müssten in Deutschland allerdings Verordnungen verändert werden. Denn die deutsche Kraftwerksnetzanschlussverordnung besagt, dass Kraftwerke ständig Strom ins Netz einspeisen dürfen – aber eben nur Kraftwerke. Nicht Seekabel. Ohne eine entsprechende Änderung könnte der Strom aus Norwegen also einfach abgeklemmt werden – ähnlich wie heute Windkraftanlagen vom Netz genommen werden, wenn zu viel Atomstrom im Netz ist.

Das Bundeswirtschaftsministerium sah jedoch Ende vergangenen Jahres auf entsprechende Anfragen keinen Änderungsbedarf. Es will eine Entscheidung der Bundesnetzagentur abwarten, die das Seekabel von der Preisregulierung ausnehmen muss. “Nach Abschluss des Verfahrens wird die Bundesregierung prüfen, ob ein zusätzlicher Regelungsbedarf besteht”, zitierte die taz im November ein Sprecher von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle. Wo der Zusammenhang zwischen den Regeln für die Strompreise und für die Netzeinspeisung ist, bleibt unklar.

Interessant auch die Kernaussage der Fraunhofer Energietage im September vergangenen Jahres. “Eine Energieversorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien ist schon 2050 machbar”, sagte damals Professor Eicke R. Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE.

Unterstützt wird er vom ehemaligen Bundesumweltminister und einstiger Direktor des UNO-Umweltprogramms UNEP Professor Klaus Töpfer. Auch er hält das 100-Prozent-Ziel für realistisch und fordert von der Bundesregierung ambitionierte Ziele. Diese strebt bis 2050 einen Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch von 60 Prozent an. Doch schon mit Technologien, die bereits heute zur Verfügung stehen oder derzeit entwickelt werden, ließe sich eine weit höhere Quote erreichen, so Töpfer.

Unerlässlich dafür ist nach Angaben der Fraunhofer-Gesellschaft, dass die Akteure der Energieforschung enger zusammenarbeiten. Ein Beispiel ist der Ausgleich von Angebot und Nachfrage nach Strom in intelligenten Netzen und die Speicherung von erneuerbarer Energie. Gerade beim verstärkten Einsatz von erneuerbaren Energien sind – wegen der naturgegebenen Ausfälle bei Wind- oder Sonnenenergie – Smart Grids notwendig, so die einhellige Experten-Meinung.

Das gilt auch für das Projekt Desertec, dass Sonnenstrom aus der Wüste Afrikas nach Europa holen will. Geistiger Vater des Vorhabens ist der Hamburger Physiker Gerhard Knies. In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt hat auch er jetzt noch einmal betont, dass Deutschland keinen Atomstrom braucht.

“Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die dieses belegen. Wir könnten sogar die Laufzeiten aller Atomkraftwerke in Europa auslaufen lassen, dann wären wir in rund 40 Jahren raus aus der Kernenergie – bei gleichzeitigem Ausstieg aus fossilen Energien wie Kohle, Öl oder Gas. Es ist belegt, dass wir unsere Energieversorgung praktisch zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne oder Wasserstoff bestreiten können.”

Noch allerdings fehle der politische Wille, sagt er. “Der Wille zum Ausstieg muss von der Bevölkerung kommen, erst dann werden auch die Politiker reagieren.” Vielleicht ist dieser Punkt jetzt erreicht. In den vergangenen Tagen ist die Deutschland die Nachfrage nach so genanntem Ökostrom sprunghaft angestiegen.

Silicon-Redaktion

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  • Der Umstieg ist auch nicht ungefährlich
    In dem Artikel bzw. den Foto-Galerien werden zwar viele Technologien gezeigt, aber die wirklichen Energie-Quellen sind beschränkt: Wind, Wasser, Sonne, Verbrennung, Atom. Wind und Sonne stehen nur zur Verfügung, wenn sie wollen. Wasserkraft steht nur beschränkt zur Verfügung und ist mit erheblichen Eingriffen in die Umwelt verbunden (auch die Windparks finde ich nicht gerade umweltverträglich). Verbrennung führt zu CO2 - oder zum Verlust von Ackerflächen / Regenwäldern usw.

    Weiß man, wie Erdbeben-sicher Staumauern von Wasserspeichern sind? Es braucht keine große Bombe eines Terroristen, um eine Staumauer zu sprengen und tausende von Menschen zu töten. Gibt es eigentlich Aussagen über die Anzahl von Windmasten, die durch das Erdbeben geknickt wurden?

    Sonne und Wind müssen irgendwie gespeichert werden. Auch diese Technologien sind nicht ungefährlich. Oder was passiert, wenn eine Lithium-Batterie explodiert / gesprengt und das hochgiftige Lithium freigesetzt wird? Sonne aus der Sahara: Gaddafi's wird es immer geben, von denen ich nicht abhängig sein möchte.

    Sicher hat jede Technologie ihre Rest-Risiken, auch das Auto oder das Flugzeug oder die erneuerbaren Energien. In der momentanen Lage sind sich nur alle einig, dass es das Atom nicht mehr sein soll.

    Ich hoffe, dass die Opposition mit ihrer ideologischen Hetze aufhört und in eine verantwortungsbewusste Diskussion eintritt. Parteipolitik können wir in dieser Situation wirklich nicht brauchen.

  • Atomausstieg
    Ein Staudamm der bricht oder ein Lithium-Speicher der explodiert sind lange noch nicht so schlimm, als wenn z.B. bei einem Atom-GAU in Deutschland ein Radius von 250 km darum zur Sperrzone für Jahrhunderte wird und zig-tausende Menschen und deren Nachkommen an Strahlenkrankheiten sterben.
    Japan ist ein Hochtechnologieland, - die Ings. sind auf Augenhöhe mit den unsrigen. Sie bauen die zuverlässigsten Autos und trotzdem kann nicht alles beherrscht werden - egal wie es zum Unglück kommt. Auch hier sind wir (Biblis) bereits an GAUs gerade noch so vorbei geschlittert.
    @Loge:
    Harrisburg, Tshernobyl und jetzt Japan. Wie oft muss sich der Mensch eine blutigen Nase holen, bevor er kapiert das er in eine Sackgasse rennt. Das hat mit Emotionalität nichts zu tun.

  • Über Risiken und Nebenwirkungen informiert Sie KEINER...
    Es ist schlimm, dass es bei der Menschheit immer erst zu einem Super-GAU kommen muss, bevor die Experten, die vor den Gefahren neuer Technologien warnen, ernst genommen werden!
    Das ist, wie wenn man den Retourgang erst einlegt, nachdem man "die Karre an die Wand gefahren hat"!

    Zuerst geht es immer nur ums Ausgaben-Sparen und um Profite. Man merke: "wer billig kauft, zahlt doppelt"

  • Atomstrom
    Diese ganze Diskussion betrachte ich einfach nur als dumm. Keiner hat Ahnung, und jeder fühlt sich plötzlich zum AKW-Ischinör berufen. Eine Woche ideologisches Sperrfeuer durch die öffentlich rechtlichen Dummschwätzer, und schon ist die Meinung und die Hirne der zwangsabgezockten Zuschauer konditioniert. Deshalb informiere ich mich lieber über ausländische Sender; sogar Al-Jazeera bietet qualifiziertere Leute auf als die Öffentlich-Rechtlichen. Selbst ein Lanz fängt seine dämliche ideologische Agitation an, obwohl ihm erstmalig bestqualifizierte Leute gegenüber sitzen.

    Das ganze Übel ist: In Libyen läuft eine menschliche Katastrophe ab, in Japan läuft unter den Tsunami-Opfern eine noch größere menschliche Katastrophe ab worüber fast garnichts berichtet wird, noch Aufrufe zur Hilfestellung laufen, und in Deutschland wird die ebenso schlimme AKW-Katastrophe auf eine erbärmliche Weise für inländische ideologische Machkämpfe instrumentalisiert.
    Wie tief muß diese deutsche Mediengosse eigentlich noch absinken?

    Aber vielleicht kann mir jemand einen Tip geben: Ich möchte künftig nur noch Atomstrom beziehen. Kann mir jemand da einen Anbieter nennen ?

  • "Erneuerbare" Energien
    Über das Thema Pro und Kontra zur Atomenergie möchte ich mich hier nicht großartig verbreiten, die Argumente sind jahrzehntelang sehr intensiv ausgetauscht worden. Jeder weiß daß es ein sogenanntes "Restrisiko" gibt, und nun ist es wieder mal eingetreten. Die japanischen Entscheider in Politik und Wirtschaft hatten vor etwa 40 Jahren darauf gewettet, daß es während der Laufzeit ihrer AKW's dort kein Erdbeben mit einer Stärke von mehr als 8 auf der Richter-Skala geben wird, und diese Wette haben sie nun verloren (was etliche dieser Entscheider nicht mehr kümmern wird, weil sie mittlerweile das Zeitliche gesegnet haben).

    Man kann (und sollte) nun eine Debatte darüber führen, ob solche riskanten Wetten zu Lasten der Allgemeinheit und nachfolgender Generationen ethisch zu rechtfertigen sind.

    Was mir aber bei der Energiedebatte unter anderem auffällt ist daß hierbei zumeist von "erneuerbaren Energien" die Rede ist, auch seitens deren Befürworter. Das ist semantischer Unfug, denn es erweckt den Eindruck daß diese Energien dauernd erneuert werden müßten, was dann ja wohl mit viel Aufwand und Kosten verbunden wäre.

    In Wirklichkeit handelt es sich aber um "selbsterneuernde Energien", denn die Sonne geht jeden wieder Tag auf und sorgt somit auch für Wind und Wellen und die Neubildung von Biomasse, ohne daß wir uns darum kümmern müßten. Die Sonne schickt uns dabei nicht mal eine Rechnung für die Energie, die sie unserem Planeten zukommen läßt - und diese Energie übersteigt unseren derzeitigen Verbrauch um mehrere Zehnerpotenzen.

  • NorGer
    Und wieder ein Bericht, der das Ersetzen von 60 europäischen Kernkraftwerken herausstellt. Dabei kann mit der NorGer Leitung nur maximal der Strom eines KKW überführt werden. Hinzu kommt, dass die Norweger auch selbst Strom brauchen und in einigen Monaten des Jahres die Stauseen so leer sind, dass das Land auf Stromimporte aus z.B. Schweden angewiesen ist. Insbesondere in den trockenen Wintermonaten kommt dies immer wieder vor. Wenn dann ist ja bei uns der Windstrom auch nur überschüssig, weil wir ihn nicht gleichmäßig im Netz verteilen können und die konventionellen Kraftwerke nicht schnell genug ihre Einspeisung veringern können. Dass der Strom "bei Bedarf" wieder zurück nach Deutschland fließen wird, ist auch vollkommen falsch. Die Leitung wird als Handelsleitung genutzt und nur wenn wir höhere Preise für den Strom bieten, dann kommt der Wasserstrom zu uns.
    Außerdem darf nicht vergessen werden, dass Windstrom auch einen preissenkenden Effekt an der Stromhandelsbörse EEX hat. Wodurch auch die Gewinne der Betreiber der konventionellen Kraftwerke geringer werden. Es würde meines Erachtens nach mehr Sinn machen, den Strom in den Süden ab zu transportieren. Davon würden wir mehr profitieren und könnten vielleicht das eine oder andere Gaskraftwerk herabregeln.

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