Forscher simulieren Blitze per Computer

Das Szenario ist bedrohlich: Ein Blitz schlägt neben einem Spaziergänger im Boden ein. Aber zum Glück spielt sich die Szene nicht im Freien ab und der Spaziergänger ist nur ein Computermodell. Auch der Blitz existiert nur in Form von Bits und Bytes. Programmiert haben ihn Forscher um Professor Thomas Weiland und Professorin Irina Munteanu vom Institut für die Theorie Elektromagnetischer Felder (TEMF) der TU Darmstadt.


Irina Munteanu, Bild: TEMF

“Wir wollen in Menschen hineinschauen, in deren Nähe ein Blitz einschlägt”, sagt Munteanu. Weil es unmöglich sei, den Strom zu messen, der durch einen Menschen fließt, könne nur ein Modell Aufschluss darüber liefern, welchem Stromfluss etwa sein Herz ausgesetzt ist, wenn neben ihm der Blitz einschlägt. Außerdem simulieren die Forscher Blitze, die in ein voll besetztes Flugzeug oder in ein Auto mit Schiebedach einschlagen. Dabei zeigte sich beispielsweise, dass im Kopfbereich des Fahrers eine deutlich höhere Feldstärke auftritt als bei einem Auto mit einem herkömmlichen Dach aus Blech.

Die Methoden, die das Team entwickelt, sind für Ingenieure hochinteressant. “Sie können sie beispielsweise nutzen, um Erdungsanlagen zu optimieren”, sagt Munteanu. Denn diese müssten bei genauer Kenntnis der Stromflüsse nicht mehr überdimensioniert werden. Außerdem könnten die Simulationen helfen, die Bordelektronik von Flugzeugen vor einem Blitzeinschlag abzuschirmen.

Auch andere Quellen von elektromagnetischen Feldern kann das Team simulieren – so etwa Handystrahlung im Flugzeug. “Würde man deren Stärke präzise kennen, könnte man das Cockpit wirkungsvoll abschirmen”, so Munteanu. Die Ingenieurin glaubt, dass die Simulationen Entwicklungsprozesse beschleunigen können. “Der Computer kann zwar Messungen nicht vollständig ersetzen. Aber durch Simulationen spart man sich den Bau vieler Prototypen, die sich nach Messungen als ungeeignet entpuppen würden.”

Die Forscher betreten nach eigenen Angaben mit ihren Simulationen Neuland, denn ihre Modelle sind äußerst detailliert. Sie bauen ihre Modelle gewissermaßen aus virtuellen Legosteinen auf. Für ein Auto gibt es Legosteine aus Blech oder Kunststoff, für einen Menschen solche aus Knochen oder Gehirnmasse. Um ein verlässliches und genaues Ergebnis zu bekommen, müssen die Legosteine sehr klein gewählt werden, sodass alle Details erfasst werden. Das bedeutet, dass ein komplexes Modell aus äußerst vielen dieser Bausteine besteht – das Modell des Flugzeuges samt Passagieren etwa aus einer Milliarde. Für jeden einzelnen dieser Legosteine löst der Rechnercluster des Instituts die Gleichungen des Elektromagnetismus. Um einen Vorgang im Zeitablauf zu simulieren, muss er die gleichen Rechnungen für jeden Zeitpunkt wieder und wieder ausführen. “Insgesamt müssen Hunderte von Billionen Zahlenwerte berechnet, gespeichert und grafisch dargestellt werden”, sagt Munteanu.

Damit so eine Rechnung nicht jahrelang dauert, greifen die Forscher tief in die Trickkiste. Die Rechenergebnisse müssen nach jedem simulierten Zeitpunkt möglichst effizient zwischen den rund 172 Rechnern des Clusters ausgetauscht werden, was geschicktes Programmieren erfordert. Die Simulationen laufen zudem nicht auf herkömmlichen Prozessoren, sondern auf leistungsfähigeren Grafikkarten. “Um das machen zu können, brauchen wir fundierte Kenntnisse sowohl der Hardware als auch der Software“, sagt Munteanu.

Silicon-Redaktion

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