Am Freitag – dem Vortag der angekündigten Anti-ACTA-Demonstrationen – teilte das Auswärtige Amt mit, das Abkommen zunächst nicht zu signieren. Damit zog die Politik in letzter Sekunde die Notbremse. Denn eigentlich sollte der deutsche Botschafter in Japan bereits am 22. Januar zusammen mit 22 Vertretern anderer EU-Länder unterschreiben. Er tat es nach Angaben der Süddeutschen Zeitung nur nicht, weil er aufgrund einer verwaltungstechnischen Panne kein ‘OK’ aus Berlin vorlag.

Tatsächlich stimmte die Regierung ACTA bereits im Dezember 2011 im EU-Fischereirat zu. Staatssekretär Robert Kloos gab in Vertretung der zuständigen Ministerin Ilse Aigner (CSU) das Placet. Dass das Abkommen im Fischereirat behandelt wurde, hängt mit einem Paradoxon der EU zusammen. Demnach können Abkommen auch von Fachfremden genehmigt werden, wenn in den EU-Mitgliedsstaaten keine Vorbehalte gegen das Abkommen mehr bestehen.

Jetzt streitet die Regierungskoalition über das weitere Vorgehen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verlangte gegenüber der Passauer Neuen Presse mehr Informationen von der EU-Kommission. “Alle wesentlichen Kritikpunkte, die sich auf Urheberrechtsschutz und Internet konzentrieren, müssen vom Europäischen Parlament und der Kommission beantwortet werden.”

Dagegen wies Günter Krings (CDU), Vize-Vorsitzender der Unionsfraktion, Leutheusser-Schnarrenberger in der Passauer Neuen Presse darauf hin, dass sie selbst ACTA bis vor kurzem noch verteidigt habe. Tatsächlich hatte Leutheusser-Schnarrenberger nach Angaben von Spiegel Online noch Ende Januar betont, dass ACTA weder eine Verschärfung der Haftung für Internet Service Provider vorsehe, noch deutsche oder europäische Datenschutzregelungen berühre.

Laut Krings ist ACTA ein “recht harmloses Abkommen”, das im Wesentlichen Rechtsregeln der EU auf andere Staaten überträgt. “Ich wünsche mir von ihr ein klares Bekenntnis zum Inhalt dieses Abkommens”, so Krings. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach schlug in die gleiche Kerbe. “Was im realen Leben verboten ist – das Kopieren fremden geistigen Eigentums -, muss auch im virtuellen Leben verboten sein”, betonte er gegenüber der Rheinischen Post.

Leutheusser-Schnarrenberger steht mit ihrer Haltung freilich nicht allein dar. Vor wenigen Tagen hatten bereits Polen, Tschechien, die Slowakei und Lettland die Ratifizierung von ACTA ausgesetzt, obwohl einige der genannten Länder bereits ihre Unterschrift unter das Abkommen gesetzt hatten. In Polen war es jedoch zu Protesten gekommen, allein in Krakau demonstrierten 30.000 Bürger. Inzwischen entschuldigte sich Ministerpräsident Donald Tusk und räumte ein, das Abkommen zuvor “aus einer Perspektive des 20. Jahrhunderts” gesehen zu haben.

Der slowakische Wirtschaftsminister Juraj Miskov sagte: “Ich werde kein Abkommen unterstützen, das grundlegende Menschenrechte einschränkt, insbesondere das Recht auf Freiheit und Privatsphäre, und das den Schutz von Urheberrechten über diese Rechte stellt.” Die slowenische Botschafterin in Japan, Helena Drnovšek Zorko, bereute ihre Unterschrift in einem Blogbeitrag und rief ihre Landsleute zu Protesten auf.

Die deutschen ACTA-Kritiker kündigten derweil an, den Druck aufrecht zu erhalten. “ACTA ist ein weiterer Versuch, das Internet in eine Zwangsjacke zu stecken”, sagte Sebastian Nerz, Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland. Anstatt das Urheber- und Patentrecht zu modernisieren, würden mit der Brechstange alt hergebrachte Geschäftsvorgänge zementiert. Ungeachtet der Eiseskälte hätten sich unzählige Menschen europaweit auf die Straße gewagt. Dass in Deutschland hierbei, trotz der vorläufigen Aussetzung, am meisten Menschen demonstrierten, sollte für die Regierung ein eindeutiges Zeichen sein. “Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Ob Regierung oder Industrie – ob Manager oder Politiker.”



Wie es jetzt mit ACTA weitergeht, ist unklar. Nach Angaben von Spiegel Online könnte das Europäische Parlament im September über das Abkommen abstimmen. In Deutschland könnte das Abkommen erst in Kraft treten, wenn der Bundestag zustimmt.

Die Kritik an ACTA:

Während Teile von ACTA, etwa zur Bekämpfung von Fälschungen physischer Güter, unstreitig sind, gibt es Proteste gegen die Durchführungsbestimmungen bei der Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen. Demnach sollen Internet-Provider für Verstöße ihrer Kunden verantwortlich gemacht und als Störer in Haftung genommen werden. Regierungen sollen die ISPs mit umfangreichen Befugnissen ausstatten. Dazu gehören die Überwachung des Internetverkehrs und die technische Verhinderung von Verschlüsselungs- und Anonymisierungstechniken wie TOR. Kritiker befürchten, dass Datenverkehr dann nur noch anhand einer Positivliste erlaubt werde, etwa für die Dienste World Wide Web und E-Mail. An direkte verschlüsselte Kommunikation zwischen zwei Nutzern, wie es etwa IPv6 erlaubt, sei nicht mehr zu denken. Das Internet in seiner heutigen Form werde es nicht mehr geben.

Silicon-Redaktion

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  • Echt krass...
    Das die "Gurken"-Truppe in Brüssel für diversen Blödsinn reichlich Zeit hat ist ja nichts neues, das aber fachfremdes Personal über Belange entscheidet... (und auch noch Geld dafür bekommt - verdienen wäre ja jetzt der Punkt auf dem i!)
    Da kommt mir schon mal in den Sinn: Absägen, draufhalten...

  • enthält ACTA undemokratische Aspekte?
    Ich bin kein Fachmann auf dem Gebiet und beziehe mich nur auf Informationen, die diesbezüglich durch alle Medien laufen.
    Demnach enthält ACTA Aspekte, die meiner Meinung nach undemokratische Züge tragen und nicht in eine freiheitlich orientierte Gesellschaft gehören.

    Ich lese .. Provider sollen in die Pflicht genommen werden, diskrete Kommunikation zu verhindern.
    Wäre es nicht das gleiche, wenn man zwei im öffentlichen Raum miteinander flüsternden Personen zwangsweise ein Mikrophon vor den Mund hält?

    Ich lese ... Provider sollen in die Pflicht genommen werden, Datenkommunikation auf unerlaubte Inhalte zu kontrillieren und im ggf. zu verhindern.
    Wäre es nicht das selbe, die Briefpost zu verpflichten, alle Transportierten Briefe zu öffnen, auf unerlaubte Inhalte hin zu prüfen und ggf. anzuzeigen, bzw. eigem,ächtig zu entscheiden, diesen Brief nicht auszuliefern?

    So mit etwas Distanz betrachtet klingt das alles äußerst befremdlich. Natürlich müssen wir im Rahmen des Möglichen Unerlaubte, rechtswidrige Aktivitäten unterbinden oder ggf. auch ahnden, aber ist es nicht eine Utopie anzunehmen, in einer freiheitlichen Gesellschaft das unrechtmäßige Treiben Weniger durch totale Kontrolle und Gängelung Aller ausrotten zu können?
    Ist es nicht auch ein Teil des Preis der Freiheit, mit einem gewissen Anteil an unlauteren Zeitgenossen leben zu müssen?

    Ist es nicht eine absonderliche Unverhältnismäßigkeit, wenn nur allein in unserem Ländle die Kommunikation von 80 Mio Menschen "zwangsbereinigt" wird, nur um Rechtsansprüche durchzusetzen, die anderen Ortes von ganzen Nationen nur belächelt werden und das abkupfern und plagiieren scheinabrt zum guten Ton gehören?

    Diese scheinbar "dunkle Seite" dieses ACTA-Abkommens ist meiner Meinung nach wie so Vieles in dieser europäischen Entwicklung scheinbar noch bei weitem nicht genügend ausgeleutet. Es scheinen da Mechanismen drinnen zu stecken, die unbedint auf den Prüftand gehören, weil Sie womöglich die gesunde Entwicklung einer freiheitlich orientierten Gesellschaft widerstreben.

    Ich hoffe, unsere Volksvertreter werden dieses Abkommen sehr sehr gründlich durchleuchten, ggf. auch auf Verbesserung hinwirken, bevor Sie es ratifizieren.

  • Widerstand ist notwendig
    Wenn ich lese, dass eine direkte IP6 Verbindung zwischen zwei Clienten "kontrolliert" werden soll. Wenn ich lese, dass der Provider für Verstöße haftet (wäre das nicht so als wenn die Telekom für jedes Gespräch haftet welches Ganoven über einen Einbruch führen?). Wenn ich bedenke, dass das eine Schnüffelsoftware voraussetzt und eigentlich auch eine Verschlüsselung auf Clientseite verbietet.
    Dann ..., ja dann ist sofortiger Widerstand notwendig.
    Die spinnen doch die Römer.

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