Sind Zertifizierungen wichtig?

Ich bin froh, dass Zertifizierungen komplex sind. Denn wären sie einfach, würde mich niemand fragen, wie man sie bewertet und ob sie wichtig sind. So wird mir die Frage regelmäßig gestellt. Auch wenn die Umstände bei jedem Gespräch andere sind, merke ich, dass ich jedes Mal fast dieselben Antworten gebe.

Gestern hatte ich einen Anruf von einem Technologieanbieter, der eine Zertifizierung entwickelt hat, um die Kenntnisse der Mitarbeiter in seiner Service-Organisation mit mehreren hundert Arbeitskräften zu bescheinigen. Fast alle Mitarbeiter sind inzwischen zertifiziert und das Unternehmen wollte nun Ideen sammeln, wie man die Bedeutung dieser komplett zertifizierten Service-Organisationen für die Kunden darstellen könnte. Als die Frage kam, ob Zertifizierungen wichtig sind, mussten wir uns zunächst einmal auf folgendes einigen: Was für ein Unternehmen wichtig ist, ist individuell. Es ist nicht möglich, die Bedeutung dieses spezifischen Zertifizierungsprogramms nach einem bestimmten Schema aufzuzeigen.

Und das gilt für jeden. Wenn Sie zertifizierte Mitarbeiter einstellen oder ihr eigenes Personal für Zertifizierungen weiterbilden, hängt der Nutzen von Ihren eigenen, individuellen Gegebenheiten ab. Generalisierende Studien können zwar die Vorteile aufzeigen. Aber ob diese auch für Sie überzeugend sind, ist ausschließlich eine Frage Ihrer Situation.

Der Anruf dieses Anbieters ist ein schönes Beispiel, denn wir konnten mindestens vier Kategorien herausarbeiten, in denen dieser Technologieanbieter den Nutzen der Zertifizierungen deutlich machen könnte. Diese vier Bereiche können für jeden – Träger oder Kunde – einen guten Ausgangspunkt darstellen, um die Frage nach der Relevanz von Zertifizierungen zu beantworten:

  • Warum wurde ein Zertifizierungsprogramm oder eine Zertifizierungsanforderung eingeführt? Welches waren die ursprünglichen Ziele, zertifiziert zu werden? Beides ist offensichtlich und subtil. Das allererste Nutzenversprechen, das eine Zertifizierung aufzeigen sollte, ist der Grund, warum sie eingeführt wurde. In manchen Fällen kann das eine bekannte Lücke bei den Fähigkeiten sein, die geschlossen werden muss. In anderen Fällen muss vielleicht ein bestimmtes Maß an Fähigkeiten nachgewiesen oder veranschaulicht werden, welches auf andere Weise nur schwer darstellbar ist. Ich kann nicht alle möglichen Gründe aufzählen, warum Zertifizierungsprogramme aufgelegt oder warum Zertifizierungsvorgaben von Kunden oder von Teilnehmern der Zertifizierungsprogramme aufgestellt werden. Aber im ersten Schritt sollten Unternehmen die ursprünglichen Ziele der Zertifizierungsprogramme oder Zertifizierungsvorgaben bestimmen, um deren Nutzen zu ermitteln.

  • Was bestätigt die Zertifizierung? Die Elemente, die die Zertifizierung misst, sind eng mit den ursprünglichen Zielen verbunden. Eine sorgfältig ausgearbeitete Zertifizierung zu unterfüttern ist eine “Job Task Analyse” (JTA). Sie beinhaltet häufig psychometrische Analysen, um festzulegen, welche Aufgaben für die Ziele des Tests mehr und welche weniger wichtig sind. Ist das erledigt, stehen zahlreiche Informationen zur Verfügung. Diese helfen dabei zu verstehen, welche Fähigkeiten, welches Wissen und welches Verhalten durch die Zertifizierung beeinflusst werden sollen und welche Auswirkungen es auf das letztendliche Ziel hat, wenn dieses Verhalten bei einem Kandidaten vorhanden ist oder fehlt. Die meisten Programm- oder Zertifizierungsmanager haben keinen ausreichenden Einblick in diese JTAs, um die Messung potenzieller Auswirkungen nachzuvollziehen. Aber sind die Zertifizierungen aus der Schale dieses extensiven Prozesses befreit, findet sich genug Substanz. Fragen Sie sich, für welche Veränderung der Test entworfen wurde und schauen Sie, ob irgendetwas Messenswertes dabei ist.

  • Was denken die interessierten Gruppen (Zertifizierte Mitarbeiter, deren Vorgesetze, deren Kunden) über die Zertifizierung? Auch wenn die Meinung dieser Stakeholder nicht so belastbar ist wie psychometrische Tests, ist sie doch ein wichtiger Grund dafür, dass Unternehmen Zertifizierungsprogramme auflegen oder Zertifizierungen entwickeln. Und obwohl idealerweise diese Ziele vor der Einführung oder Entwicklung des Programms festgelegt werden: Es ist nie zu spät nachzuschauen, ob die Betroffenen noch an Bord sind. Zudem gewinnt man so sehr guten Einblick, ob die Programmziele weiterentwickelt werden sollten, um neue Anforderungen oder spezifischere Ziele abzudecken.

  • Welche anderen Metriken verfolgt das Unternehmen bereits, die vom Zertifizierungsprogramm beeinflusst werden könnten? Das ist mein Favorit und wurde vielleicht schon mit den ursprünglichen Zielen abgedeckt. Aber wenn ein Unternehmen bereits einige Metriken nachverfolgt und erfasst, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass diese für wichtige Leute im Unternehmen wichtig sind. Es ist sehr nützlich, wenn die Zertifizierungen einen Einfluss auf diese wichtigen Metriken nachweisen können. Die Metriken können alles Mögliche sein: Auftragsvolumen, Abschlusszeiten, Implementierungszeit, Metriken aus dem IT-Management, Leistungsmetriken der Ausrüstung, Help-Desk-Anrufe, Projekt- oder Kundenzufriedenheit. Man sollte nur vorsichtig sein und den Erfolg von Zertifizierungen nur an dem Nutzen festzumachen, den die Zertifizierung mit sinnvoller Wahrscheinlichkeit beeinflussen kann. Probleme bei den nicht damit verbundenen Metriken könnten ebenfalls der Zertifizierung angelastet werden, wenn das Netz zu weit geknüpft ist.

  • Welche Metriken können aufgenommen werden, die die Auswirkungen nachweisen? Das ist für mich die unattraktivste, aber manchmal einzig verfügbare Option. Das Erfassen neuer Metriken ist manchmal die bestmögliche Methode, um die vorhandenen Einflüsse aufzuzeigen. Neue Daten zu sammeln ist ein Spaß für Marktforscher. Aber es ist langsam und benötigt eine Menge politischen Kapitals, um die wichtigen Stakeholder davon zu überzeugen, dass diese neuen Metriken wichtig genug sind, um überwacht zu werden, und dass die Zertifizierung einen Einfluss darauf hat. Neue Metriken können ein machtvoller und genauer Indikator sein, um die Auswirkungen einer Zertifizierung aufzuzeigen. Je enger jedoch der Fokus gesetzt wird, desto weniger relevant sind diese Maßnahmen für die übergeordneten Business-Ziele. Oft besteht eine hilfreiche Strategie darin, den Schwerpunkt auf breiter angelegte Aspekte und Messgrößen zu legen.

  • Wie Sie anhand der Beschreibungen sehen, überschneiden sich die Kategorien. Und sie beinhalten eventuell nicht alle möglichen Bereiche, aus denen eine Person, ein Unternehmen oder ein Kunde durch einen zertifizierten Berater/Mitarbeiter einen Mehrwert erhält. Aber sie sind ein recht guter Ausgangspunkt. In meiner Forschungsarbeit hat sich gezeigt, dass Zertifizierungen und Training viele Metriken im Bereich des IT-Managements beeinflussen. Ich bin also zuversichtlich, dass gut entwickelte Zertifizierungs- und Trainingsprogramme die Metriken bewegen, für die sie konzipiert wurden. Es ist eine andauernde Herausforderung sicherzustellen, dass die Metriken, die durch die Zertifizierung beeinflusst werden sollen, auch tatsächlich relevant sind.

    Die meisten Zertifizierungsträger sollten recht gut im Blick haben, warum ihre Zertifizierung wichtig ist. Allerdings zeigt unser Research, dass nur wenige diese Vorteile auf eine Art artikulieren, die für die Kunden relevant ist. Die meisten Zertifizierungsträger können einen Markenwert aufbauen, der die Nachfrage nach ihren Zertifizierungen steigert. Und ihnen somit hilft, sich selbst effektiver zu vermarkten. Dazu müssen sich die Kapazitäten beim Messen auf die Metriken fokussieren, die verändert werden sollen, und darlegen, dass sich diese Metriken bewegen.

    Unternehmen, die zertifizierte Mitarbeiter einstellen oder Geld und Zeit aufwenden, um ihre Mitarbeiter zu zertifizieren, sollten sich auch über den erwarteten und realisierbaren Wert dieser Zertifizierungen im Klaren sein. Oft sehen Unternehmen in Zertifizierungen einen einfachen Weg, Kompetenz aufzubauen. Da die Zertifizierungsträger die spezifische Kompetenz (und den Nutzen für die Performance) der zertifizierten Mitarbeiter nicht artikulierten, mussten die Unternehmen ihre eigenen Wertversprechen für Zertifizierungen entwickeln. Diese priorisieren häufig Kosten (höheres Gehalt oder Training) und die Fehlzeit am Arbeitsplatz höher als die daraus resultierenden (unspezifischen) Leistungssteigerungen. Somit haben die meisten Unternehmen Zertifizierungen und Zertifizierungstrainings in der Priorität herabgestuft. Ausnahmen bestehen da, wo die Unternehmen durch Verträge oder rechtlich dazu verpflichtet sind.

    Dies ist keine umfassende Betrachtung, wie die Auswirkungen von Zertifizierungen nachgewiesen werden können. Aber ich denke, es liefert eine gute Basis, um den sinnvollen Einfluss aufzuzeigen, den Zertifizierungen meiner Meinung nach auf IT-Implementierungen und Leistungsfähigkeit haben können.