“Echtzeit statt Rückspiegel” – SAP S/4HANA ist anders

Sven Denecken, GVP Co-Innovation und Strategie S/4HANA über SAP S/4HANA. (Bild: SAP)

Es wird jetzt sicherlich keinen Big Bang bei den Migrationen hin auf die neue Plattform geben, davon ist Sven Denecken überzeugt. Aber das Interesse im Markt ist da und in dem vollständig neu geschriebenen Business-Suite-Nachfolger sieht er die Zukunft.

SAP S/4HANA ist nicht nur bedeutend schneller als der Vorgänger Business Suite on HANA, sondern sorgt auch mit einer durchgängigen Oberfläche und vor allem neuen Business-Logiken für Komplexitätsreduzierung. Das “S” im Namen steht daher nicht nur für Suite, sondern auch für Simplification und das ist inzwischen auch die strategische Marschrichtung des Unternehmens, die von Vorstandssprecher Bill McDermott vorgegeben wurde. Der spricht bei der neuen Lösung übrigens auch von dem “größten Produktlaunch seit 23 Jahren oder vielleicht der Geschichte des Unternehmens”. Die von SAP versprochene Leistungssteigerung ist beeindruckend, doch wir wollen von Sven Denecken, GVP Co-Innovation und Strategie S/4HANA, im Gespräch wissen, was die neue Unternehmenslösung für Anwender und Partner bedeutet und welche neuen Möglichkeiten sich damit ergeben.

silicon.de: Herr Denecken, worin unterscheidet sich SAP S/4HANA von dem Vorgänger SAP Business Suite On HANA und SAP Business Suite 7?

Denecken: Im Grunde haben wir hier ein komplett neues Produkt entwickelt. Wir haben vieles vereinfacht und auch einiges sinnvolle aus der Business Suite weiter genutzt. Dennoch: Vor einem Jahr haben wir die Code-Linien getrennt. Insgesamt waren das rund 400 Millionen Code-Zeilen die wir uns “angeschaut” haben, dabei kann man schon von tiefgreifenden Änderungen sprechen. Wir sind jetzt vollständig auf In-Memory und das sowohl technisch als auch von der Geschäftslogik her.

Bisher hatten wir immer für alle Datenbanken entwickelt, das hat uns eingeschränkt. Ein weiterer Punkt ist, dass wir jetzt keine Aggregate mehr zu bilden brauchen, bei denen Geschäftsprozesse berechnet werden. Jetzt können wir das ‘On The Fly’ kalkulieren. Auch brauchen wir keine Trennung von transaktionalen und analytischen Daten. Damit werden die Anwendung sehr viel schlanker.

silicon.de: Können Sie uns da eine Größenordnung nennen?

Denecken: Ich gebe ihnen ein Beispiel: Bei SAP selbst nutzen wir S/4HANA für 70.000 Anwender. Bisher war die Anwendung 7 Terabyte groß. Auf der neuen Plattform haben wir den Footprint um den Faktor 10 auf 0,7 Terabyte reduziert. Das hat erhebliche Auswirkungen auf den TCO wie die Hardware, Netzwerk oder Backup.

silicon.de: Von 7 auf 0,7 Terabyte ist durchaus beachtlich. Für den Anwender bedeutet das vermutlich auch Einsparungspotential bei den Hardware- und Infrastruktur-Ressourcen. Was hat sich außerdem verändert?

Denecken: Dadurch, dass wir auf In-Memory aufsetzen, ergeben sich natürlich ganz neue Möglichkeiten. Der Anwender bekommt die Ergebnisse zeitnah, außerdem haben wir hier jetzt auch Predictive Analytics eingebaut. Zudem bekommt der Nutzer jetzt auch Vorschläge vom System. Alles ist auf der gleichen Plattform und die Benutzeroberfläche ist rollenspezifisch und führt den Anwender durch das System. Also auch für den Anwender soll SAP S/4HANA so einfach wie möglich werden.

Neu ist daher auch die Nutzer-Oberfläche, die wir jetzt vollständig auf Fiori aufgesetzt haben. Das bedeutet aber nicht nur, dass wir die SAP S/4HANA auch auf mobilen Geräten verwenden können, sondern auch eine erweiterte rollenbasierte Benutzerinteraktion über die Grenzen von Lösungen hinweg.

silicon.de: Können Sie uns das vielleicht mit einem Beispiel näher erläutern?

Denecken: Verkauf ist immer gerne genommen. Heute würde einem Verkäufer das System sagen, dieser Deal ist besser, weil am Ende eine Million Umsatz steht. Der zweite Deal bringt aber nur 500.000. Es kann aber auch sein, dass die halbe Million besser ist, weil hier die Marge höher ist.

Aktuell braucht man beispielsweise einen Controller, der in verschiedenen Modulen die nötigen Informationen und Daten zusammensucht. Weitere Experten müssen dann in die Lieferketten oder Netzwerke hineinschauen, um solche Fragen zu beantworten und wenn, dann ist das häufig nur mit dem Rückspiegel möglich. Das heißt, man betrachtet Daten, die vielleicht nicht mehr den aktuellen Stand widerspiegeln. Hier kommen ja noch Punkte wie MRP, also die Materialbedarfsplanung, Lagerhaltung, Lieferkette und viele andere Punkte hinzu.

Und hier liegt genau eine der Stärken von SAP S/4HANA, sie liefert Daten, die auf einer Plattform basieren und auf deren Basis man fundierte Entscheidungen treffen kann. Außerdem können wir hier auch mit Was-Wäre-Wenn-Szenarien arbeiten. Die Plattform sagt mir also: “Wenn du diesen Parameter veränderst, dann passiert folgendes … “.

Die ersten Schritte und Erfahrungen haben wir bereits mit Simple Finance und der SAP Business Suite on HANA gesammelt. Deswegen können wir jetzt bereits jetzt die Lösung On-Premise und die Version in der Public Cloud für erste Kunden im Februar anbieten.

silicon.de: Muss man sich als Kunde eigentlich für eine Version entscheiden?

Denecken: Wir bieten die SAP S/4HANA in drei Editionen: Als On-Premise, als Managed Cloud und in der Public Cloud. Wir haben immer wieder Anwender, die bei bestimmten Punkten sich mit der Public Cloud nicht sonderlich komfortabel fühlen. Allerdings kann man die Funktionalitäten auch auf die einzelnen Varianten abstimmen.

silicon.de: Wann macht das Sinn?

Denecken: Wir sehen das vor allem bei Projekten. Da braucht man häufig nicht nur Personaldaten, sondern hat auch noch Subunternehmer oder Mitarbeiter mit anderen Arbeitsverträgen. Hier kann man dann auch über die Public Cloud Line-of-Business-Lösungen wie Ariba, Successfactors oder Fieldglass in einer Oberfläche zusammenbringen.

silicon.de: Können auch Drittanbieter wie Salesforce integriert werden?

Denecken: Wir haben bei der HANA-Cloud-Plattform sehr viel Wert auf Offenheit gelegt und bieten daher sehr viele Schnittstellen zu anderen Produkten, aber auch für die IT-Abteilung, die über APIs ebenfalls auf die Plattform zugreifen kann. Und natürlich für das Ökosystem, weil wir nicht davon ausgehen, dass wir alle Funktionen anbieten können und wollen.

silicon.de: Thema Offenheit, Sie hatten Eingangs erwähnt, die Lösung sei schlank, weil keine anderen Datenbanken unterstützt werden?

Denecken: Es ist nicht so, dass wir irgendjemanden aussperren wollen. Es ist aber derzeit leider so, dass kein Hersteller im Markt derzeit die Spezifikationen erfüllen kann, die wir für die SAP S/4HANA voraussetzen müssen, um die Funktionalitäten erfüllen zu können.

SAP S/4HANA. (Bild: SAP)
SAP S/4HANA auf den Punkt gebracht: Vollständig auf HANA und ein vereinfachtes Datenmodell, durchgängige Nutzererfahrung mit Fiori und ein System, das dem Nutzer Vorschläge macht. (Bild: SAP SE)

silicon.de: Kann man denn bei HANA überhaupt noch von einer Datenbank sprechen?

Denecken: Die Anfänge von HANA waren in der Datenbank, und das ist auch heute noch der Kern. Weil nun aber so viele Komponenten und Services dazugekommen sind, sprechen wir heute mit Recht von einer Plattform. Wir haben beispielsweise eine Predictive Engine oder verschiedene Logiken eingebaut die nun als Services zur Verfügung stehen. Diese werden aber natürlich nach wie vor von der darunterliegenden Datenbank befeuert.

silicon.de: Der Vorstandsvorsitzende der Deutschsprachigen SAP Anwendergruppe DSAG, Marco Lenck, kommentierte, dass SAP mit der neuen Version einen großen Schritt macht. Der werde allerdings zunächst nur für einige wenige Anwender von Interesse sein. Denn die allermeisten Nutzer seien aus seiner Sicht derzeit noch mit ganz klassischen ERP-Themen befasst.

Denecken: Wir haben das Produkt zum ersten Mal am Dienstag verfügbar gemacht und wir haben natürlich noch überhaupt keine belastbaren Zahlen. Von der SAP Business Suite on HANA aber wissen wir, dass wir hier schon 2000 Stück verkauft haben. Davon waren 75 Prozent der Projekte in weniger als einem halben Jahr produktiv, und wir reden hier von großen Projekten.

Natürlich ist uns auch bewusst, dass es Unternehmen gibt, die damit etwas reservierter umgehen und die sich vielleicht gewisse Szenarien heraussuchen werden. Wir erwarten keinen Big Bang bei den Migrationen, doch die Zeit wird sicherlich zeigen, und das werden wir dann auch zusammen mit den Nutzergruppen herausfinden, für welche Nutzergruppen welche Prozesse momentan am wichtigsten sind. Da werden sicherlich zunächst einmal die großen Anwender und die Bestandskunden der SAP Business Suite on HANA den Anfang machen. Bei Neukunden wird aber der Default auf jeden Fall auf der SAP S/4HANA liegen.

Übrigens, auch das Ökosystem wächst hier. Von den genannten Projekten wurden in den vergangenen beiden Jahren die Hälfte bereits von Partnern ausgeführt. Und hier werden mit Schulungen und Programmen die Partner weiter stärken.

silicon.de: Sie haben ja bereits angedeutet, dass nicht über Nacht alle Anwender jetzt auf SAP S/4HANA wechseln werden, aber sie haben ja bereits erste Erfahrungen bei den Pilotkunden der neuen Plattform. Wie groß ist denn der Schritt für einen Anwender, der auf die neue Plattform migrieren möchte?

Denecken: Hier haben wir drei Szanrien: Neukunden sollten natürlich gleich auf die neue Suite.

Die SAP Business Suite on HANA Kunden bekommen ein sogenanntes Exchange Add-on. Und weil die Datenbank ja bereits umgestellt ist, geht der Umzug auf SAP S/4HANA quasi über das Wochenende, dafür sorgt das Exchange Add-on, und unsere Vorgabe, das SAP S/4HANA zu dem Vorgänger datensemantisch kompatibel ist. Damit wird das alte System einfach in das Neue überführt.

Der umfangreichere Fall ist sicher die Migration von der SAP Business Suite 7. Da bekommt der Anwender zunächst ein aktuelles Enhancement Package. In einem zweiten Schritt wird dann die Datenbank migriert und schließlich bekommt der Anwender auch hier das Exchange Addon.

Wir bieten hier auch einen Service an, bei dem uns der Anwender das komplette System übergibt und wir konvertieren das Legacy-System für ihn in unserem Rechenzentrum. Er kann damit mit uns zusammen den Umstieg realisieren, oder er kann sich auch einzelne Umstiegsszenarien ansehen. Wahlweise kann er dann auch gleich den weiteren Betrieb der Lösung an SAP übergeben. Ziel ist für uns, den Umstieg so einfach wie möglich zu gestalten.

silicon.de: Herr Denecken, wir danken für das Gespräch.

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