KI-Sprachmodelle: Das war erst der Anfang

Unternehmen sollten sich gut überlegen, welches System zu ihren Anforderungen passt, empfiehlt Kurt Muehmel von Dataiku.

ChatGPT von OpenAI und Google mit Bard sind derzeit Dauerbrenner. Weitere Unternehmen werden in den kommenden Monaten eigene Entwicklungen veröffentlichen. Unternehmenslenker stehen nun vor der Aufgabe, einerseits das Potenzial von KI unternehmerisch auszuschöpfen, andererseits der in den kommenden Wochen und Monaten rasant wachsenden Komplexität gerecht zu werden – und darüber hinaus nicht den menschlichen Faktor aus dem Auge zu verlieren.

KI steht in der Arbeitswelt erst am Anfang

Aktuell herrscht in der breiten Öffentlichkeit eine Mischung aus Erstaunen, Belustigung und Angst. Konfrontiert mit ChatGPT erleben wir viele vorschnelle schwarz-weiß Muster: Ist man selbst dafür oder dagegen? Freund oder Feind der KI? Birgt die Technologie Vorteile für das eigene Schaffen und Tun oder bedroht sie eher die wirtschaftliche Existenz? Diese auf den ersten Blick etwas trivialen Fragen lenken vom Kern der Sache ab: Denn so erstaunt wir teilweise sind, was ChatGPT alles leisten kann: Künstliche Intelligenz steht in unserer Arbeitswelt noch ganz am Anfang. Die nächsten Monate und Jahre wird uns die KI noch in vielen Dingen überraschen. Wo ihre Limits liegen, ist nicht vorhersehbar. KI-Technologien sind ein wesentlicher Schritt hin zu einer intuitiven und persönlichen Mensch-Maschine-Kommunikation. In der Arbeitswelt von morgen arbeiten KI und Mensch fast partnerschaftlich zusammen.

Parallel dazu entwickelt sich eine differenzierte Debatte unter unternehmerischen Entscheidern. Einerseits geht es um die praktischen Vor- und Nachteile von Künstlicher Intelligenz. Also beispielsweise darum, wie sich ChatGPT in die eigenen Arbeitsprozesse integrieren lässt. Andererseits steht auch die Frage im Raum, für welche Werte und Prioritäten eine Technologie steht. Über allem schwebt, wie der Mensch als letzte Überwachungsinstanz seiner moralischen und ethischen Verpflichtung auch zukünftig gerecht werden kann.

Auswahl eines geeigneten Sprachmodells

Bei der Frage der Anwendungsfälle werden Entscheider bereits zeitnah die Besonderheiten von GPT-3.5, dem Modell hinter ChatGPT, und LaMDA, dem Modell hinter Bard, miteinander abwägen müssen. Vor allem sollten sie sich in diesem Zusammenhang auch die Frage stellen, ob es sich lohnt, alternativ auf einem der vielen vorhandenen Open-Source-KI Sprachmodelle aufzubauen und diese in der eigenen Infrastruktur zu betreiben.

Unternehmen können eines der sehr großen Modelle wählen, die von Unternehmen wie OpenAI angeboten werden. Ein Beispiel ist das GPT-3-Modell, das über eine kostenpflichtige API verfügbar ist. Unternehmen senden ihre Anfrage an das Modell und erhalten eine Antwort zurück, für die sie per Nutzung bezahlen. Andere Lösungen können für bestimmte Anwendungsfälle allerdings die bessere Option darstellen.

Detaillierter Blick in die AGB und Nutzungsbedingungen

Für Organisationen ergibt sich aus den getätigten Überlegungen vor allem eine zentrale Erkenntnis: Sie sollten nun nicht wie KI-Lemminge auf den nächstbesten Hype aufspringen, sondern sich gründlich überlegen, welche System für ihre jeweils individuellen Anforderungen die richtigen sind. Die Modelle unterscheiden sich in ihrer Leistung, und während ein Modell für eine bestimmte Anwendung geeignet sein kann, ist ein anderes Modell für eine andere Anwendung vorzuziehen. Es lohnt sich auch ein detaillierter Blick in die AGB und Nutzungsbedingungen. Denn Fragen wie die Speicherung der Abfragedaten – falls ja auch der Speicherort – sind nicht unerheblich. Nicht zu vergessen ist dabei die grundlegende Eigenschaft von Künstlicher Intelligenz. Die Sprachmodelle benötigen große Datenmengen, um zu trainieren und sich fortlaufend zu verbessern. Teils sind die Algorithmen transparenter, teils weniger klar zu durchschauen.

Davon betroffen sind auch Fragen des geistigen Eigentums. Beispielsweise könnten Nutzungsrechte von Texten und Bildern von einer Künstlichen Intelligenz missachtet werden. Sprachmodelle wurden basierend auf einer großen Menge an Inhalt trainiert, um in der Lage zu sein, jenen Stil zu imitieren und entsprechend überzeugende Texte zu produzieren. Was aber bedeutet die Verwendung solcher nicht vom Menschen verfasster Texte aus urheberrechtlicher Sicht? Wer haftet im Fall der Fälle? Auch wenn zugegeben viele Fragen des geistigen Eigentums im Zusammenhang mit diesen Modellen noch ungelöst sind, sollte KI-Technologie ohne juristische Fachexpertise nicht implementiert werden.

Ethische, soziale und wirtschaftliche Herausforderungen

Neben den rein praktischen, funktionalen Aspekten gibt es aber auch eine ethische Herausforderung. Vor allem die Notwendigkeit einer verantwortungsvollen KI-Governance. Ganz grundsätzlich ist jeder Einsatz von Technologie mit ethischen Überlegungen verbunden.  Je leistungsfähiger eine Technologie ist, desto wichtiger sind die ethischen Fragen. Neben dem Problem des geistigen Eigentums spielt auch die Voreingenommenheit von Sprachmodellen eine Rolle. Um es kurz zu machen: Wie diskriminierend ist die Künstliche Intelligenz? Diskriminiert ein Algorithmus beispielsweise bei der Besetzung neuer Positionen oder bei der Vergabe von Krediten bestimmte Gruppierungen?  Um ethischen und moralischen, rechtlich oft per Gesetz verankerten Vorgaben gerecht zu werden, muss der Mensch in letzter Instanz die KI überwachen können.

Was aber bedeutet das konkret für Entscheider?  KI-Sprachmodelle bilden somit eine wichtige Grundlage für die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine und können auch in Zukunft für die Automatisierung umfangreicher wirtschaftlicher Prozesse sowie für nahezu unbegrenzt skalierbare Softwareentwicklungen eingesetzt werden. Angesichts der Art und Weise, wie diese Technologien die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen haben und des immensen Mehrwerts für Wirtschaft und Gesellschaft, kann man davon ausgehen, dass in den kommenden Monaten und Jahren viel Kapital in Forschung und Entwicklung fließen wird. Es ist zu erwarten, dass es eine explosionsartige Zunahme von Unternehmen geben wird, die auf dem Erfolg neuer KI-Modelle aufbauen wollen.

KI-Governance-Rahmen einrichten

Bei allem Hype um ChatGPT: Führungskräfte müssen verstehen, dass es für eine verantwortungsvolle Nutzung dieser Modelle keine einheitliche Lösung gibt. Unternehmen müssen einen KI-Governance-Rahmen einrichten, um die Technologie hinischtlich verschiedener Parameter zu überprüfen. Dazu gehören Datenschutz und Datensicherheit, Transparenz, Fairness sowie eine hohe Datenqualität. Außerdem wird die Anzahl verschiedener KI-Systeme weiter wachsen.

So schwierig es angesichts der vielen ungeklärten juristischen und technologischen Fragen ist, gilt für die Implementierung von KI eine Faustformel: Sich nicht zu früh auf eine einzige Lösung festlegen – denn die Zukunft wird eine Zukunft der Überraschungen und wer dann flexibel agieren kann, profitiert. Optionen aufhalten und Potenziale nutzen lautet das Motto.

 

Kurt Muehmel

ist Everyday AI Strategic Advisor bei Dataiku, einer Plattform, die den Zugang zu Data Science demokratisiert und es Unternehmen ermöglicht, ihren eigenen Weg zu künstlicher Intelligenz zu finden.