Wie Cisco den Internet-Crash abwenden will

Das Internet wird in voraussichtlich zwei Jahren an seine Kapazitätsgrenzen stoßen. Das geht aus einer Studie des Marktforschers Nemertes hervor.

Demnach verursachen Unternehmen und Privatanwender eine steigende Datenflut – die das Internet bereits in zwei Jahr lahmlegen könnte. Die Daten stammen von Web-Anwendungen wie Video, Streaming, P2P-Netzen und Musik-Downloads. Nach Angaben des Marktforschers Comscore sahen 75 Prozent der US-Internetnutzer im Mai durchschnittlich 158 Minuten Videos und riefen dabei 8,3 Milliarden Video-Streams auf.

Die Nachfrage nach Online-Videos und ähnlichen Produkten wird laut Nemertes so stark steigen, dass die existierenden Strukturen nicht mithalten können. Um dem Anstieg der Nachfrage bis zum Jahr 2010 gerecht zu werden, müssten die Backbone Provider bis zu 137 Milliarden Dollar in den Ausbau der Ressourcen investieren, hieß es. Das sei das Doppelte dessen, was die Provider bislang eingeplant hätten.

Netzwerker Cisco will dies verhindern. Im Interview mit silicon.de erläutert Dr. Bernd Heinrichs, wie der Konzern dies anstellen will. Heinrichs ist seit über einem Jahr der Direktor für Field Market Development bei Cisco Deutschland. In dieser Position unterliegt ihm die Verantwortung für die Geschäftsplanung und  den Fachvertrieb für neue Technologien.

silicon.de: Nach einer Studie des US-Marktforschers Nemertes verursachen Unternehmen und Privatanwender eine steigende Datenflut – die das Internet bereits in zwei Jahr lahmlegen könnte. Ist diese Prognose realistisch?

Bernd Heinrichs: Der Datenverkehr im Internet wird rasant wachsen. Es ist davon auszugehen, dass 20 Haushalte im Jahr 2010 soviel Internet-Verkehr generieren werden wie das gesamte Internet 1995. Grund für die steigende Datenflut sind Web-Anwendungen wie Video, virtuelle Zusammenarbeit über das Internet, so genannte Collaboration, oder Musik-Downloads. Diese Anwendungen erfordern hohe Bandbreiten. Die Basis für den Datenverkehr ist das IP (Internet-Protokoll)-basierte Internet, in das zunehmend investiert wird. Das dargestellte Szenario sehen wir für den deutschen Markt aber nicht – die Netzbetreibernetze sind der derzeitigen Nachfrage durchaus gewachsen, außerdem erweitern Telekommunikationsfirmen kontinuierlich die Bandbreiten.

silcion.de: Wie wirkt sich die steigende Nachfrage nach Online-Videos und ähnlichen Produkten Ihrer Meinung nach auf das Internet aus?

Heinrichs: Die steigende Nachfrage nach Online-Videos, aber auch die Etablierung der Breitbandtechnologie werden dazu führen, dass im Jahr 2008 weltweit erstmals mehr IP-Verkehr im privaten Bereich erzielt wird als im geschäftlichen. Zum Vergleich: in Privathaushalten wird der Datenverkehr bei 6,3 Millionen Terabyte pro Monat liegen, im Geschäftlichen bei 5,8 Millionen. Für 2011 erwarten wir in Privathaushalten einen monatlichen Datenverkehr von 18,3 Millionen Terabyte. Zum Vergleich: Bei Unternehmen beläuft sich im selben Jahr das IP-basierte Datenaufkommen auf 10,6 Millionen Terabyte.

silicon.de: Welche Teile der Internet-Infrastruktur sind erneuerungsbedürftig?

Heinrichs: Erweiterungsbedürftig ist zum einen die so genannte ‘Letzte Meile’, welche ja den letzten Abschnitt der Leitung, die zum Hausanschluss bzw. zum Teilnehmerhaushalt führt, darstellt. Ebenfalls ist es erforderlich, die Backends laufend ‘up to date’ zu halten, so dass sie mit der steigenden Nachfrage Schritt halten. 

silicon.de: Sind die Internet-Nutzer (die Unternehmen) auf die Veränderungen eingestellt?

Heinrichs: Wir glauben derzeit nicht daran, dass es in Deutschland Qualitätseinbußen bei der Netzwerkinfrastruktur für die Unternehmen geben wird.

silicon.de: Arpanet-Mitbegründer Larry Roberts sagte kürzlich, der Webcode sei oft schlecht programmiert und die TCP/IP-Technik bedürfe einer Renovierung. Wie schätzen Sie das ein?

Heinrichs: Applikationen werden immer leistungsfähiger und damit komplexer, dadurch entstehen aber auch Sicherheits- und Performance-Themen. SOA/SONA unterstützen Standardisierung respektive eine lose Koppelung von Diensten. Dank der Mehrfachnutzung von Software Komponenten ist ein schnelles Deployment – also eine schnelle Verteilung – möglich. Beispielsweise helfen XML gateways dabei, Dienste zu beschleunigen und abzusichern – und dies auf Applikationsebene. Die TCP/IP-Technik wird ständig erweitert, siehe zum Beispiel QoS & Security als inhärenter Bestandteil von IPv6.
 
silicon.de: Roberts will die Industrie in die Verantwortung nehmen, die von der Paketvermittlung Abstand nehmen soll. Das würde das Netz entlasten. Halten Sie das für realistisch?

Heinrichs: Die Infrastrukturen werden ständig erweitert und an den neuesten Stand der Technik angepasst, dank innovativer Technologien. Insbesondere im Bereich der optischen Übertragung werden auch weiterhin genügend Kapazitätsreserven aufgebaut, um neue, sehr bandbreitenhungrige Dienste, wie IPTV, Business Video etc., für immer breitere Schichten verfügbar zu machen. Besonderes Augenmerk sollte dabei auch von den Netzbetreibern im Bereich der ‘Last Mile’-Breitbandangebote gelegt werden. Die bevorzugte Übertragung von Mehrwertdiensten, Sicherheits- und zeitkritischen Daten lässt sich über moderne Architekturen realisieren, die Funktionen dafür sind bereits integriert. Die flächendeckende Umsetzung ist eine Frage der Preisgestaltung und Marktanforderungen.

silicon.de: Wie stellt sich Cisco auf die kommenden Herausforderungen ein? 

Heinrichs: Cisco bietet Netzwerktechnologien an, die das steigende Datenaufkommen im Internet sicher bewältigen können. Ein Beispiel ist das weltweit leistungsfähigste Carrier Routing System Cisco CRS-1 mit einer Leistungskapazität von 92 Terabit pro Sekunde. Der wachsende Datenverkehr bietet uns die Grundlage, die von Cisco weltweit angepeilten Wachstumsraten von jährlich 10 bis 15 Prozent in den kommenden Jahren zu erreichen, wenn die Telekomunternehmen und Netzbetreiber weiterhin bei ihrer Umstellung auf IP-Netze auf unser Know-how setzen. Um die nötigen Innovationen weiter voranzutreiben, investiert Cisco nicht nur intensiv in die Forschung und Entwicklung (allein 5 Milliarden Dollar von 35 Milliarden Dollar Konzernumsatz im Jahr 2007), sondern kauft weiterhin Spezialisten hinzu, bislang hat Cisco über 120 Firmen akquiriert.