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Baan-Verkauf: Die Tafelgäste nehmen Platz

Baan, der Hersteller von Business-Anwendungen für Enterprise Resource Planning (ERP), wird nach dem Abstoßen durch den jetzigen Besitzer Invensys keine eigenständige Zukunft haben. Zu dünn ist die Finanzdecke mittlerweile geworden. Am wahrscheinlichsten ist nun eine Übernahme durch Industriegrößen, die die Filetstücke der Traditionsfirma schon länger im Auge haben. Das ist zumindest die Aussage von Analysten des US-Marktforschungsunternehmens Yankee Group. Die betroffenen Unternehmen, Baan und die angeblich Interessierten IBM und SAP halten sich auf Nachfrage bedeckt.

Lediglich Duncan Bonfield, Investor Relations Manager beim Mutterunternehmen Invensys, war gesprächsbereit und sagte gegenüber silicon.de: “Wir werden einige radikale Schnitte vornehmen – dazu gehört der Verkauf von Baan.” Es gebe Interessenten aus zwei Gruppen: einerseits Investment-Firmen, die Baan per Buy-out in ein privat gehaltenes Unternehmen umwandeln wollen, und andererseits “natürlich” Software-Firmen, die entweder ähnliche Produkte anböten oder eine ähnliche Kundenstruktur hätten.

Bonfield: “Wir beobachten ein sehr ernsthaftes und zahlreiches Interesse an Baan.” Bereits seit sechs Wochen, so der Manager, hätten gerade Konkurrenzunternehmen von Baan aus eigenem Antrieb bei Invensys nachgefragt mit den Worten “Put me on the list”. Er rechnet mit einem schnellen Abschluss der Verkaufsgespräche. Die Verhandlungen seien mit einigen Interessenten schon recht weit fortgeschritten.

Die Yankee Group bereitet auch schon einmal vor: Für die Anwender heiße es nun, sich auf die wahrscheinlichsten Szenarien einzustellen, die Verträge mit Baan noch einmal aus der Schublade zu holen und rechtzeitig deren Übertragbarkeit und Gültigkeitsdauer zu überprüfen. In dem Falle, dass Kunden bestimmte änderungswürdige Punkte in den Verträgen mit einem neuen Besitzer von Baan nicht klären können, raten die Analysten offen dazu, Druck auszuüben. Die Drohung, Baan durch eine Konkurrenztechnik zu ersetzen, “zieht durchaus”, wie es in dem Memo heißt.

Vorsicht sei geboten, sollten findige Sales-Leute von Konkurrenten den Umbau auf eine neue Lösung zu einem besonders günstigen Preis anbieten. Billiger und effektiver sei das Aufspielen von Patches oder Upgrades in einer Baan-gewohnten Umgebung. “ERP ist ein Prozess und die gesamte Architektur ist für eine bestimmte Lösung angepasst,” warnen die Marktkenner. Demnach könne eine neue Lösung gar nicht so billig sein, dass sie die dann erforderlichen Migrations-, Anpassungs- und Schulungskosten aufwiege.

Zunächst aber gelte es, die Szenarien durchzuspielen und eine Strategie für die einzelnen wahrscheinlichsten Verkaufs-Möglichkeiten festzulegen. Grundsätzlich teilen die Analysten die Interessenten in drei Gruppen ein. Denn interessant seien für potentielle Käufer entweder die Technik oder aber Vertriebskanäle und Kundenbasis der Invensys-Tochter.

Dabei sei zu erwarten, dass bei den Anbietern von Business-Anwendungen klar die deutsche SAP als Sieger hervorgehe. Mitspieler wie Peoplesoft, J.D. Edwards oder gar Microsoft seien unwahrscheinliche Käufer, da sie die Technik von Baan nicht so dringend benötigten wie eben die Walldorfer. Für sie springe neben dem offensichtlichen Gewinn an Marktanteilen auch der Vorstoß in eine hochwertige Transportplanungs- und -Optimierungswelt heraus, sagen die Industriekenner.

Sollte eine technologieorientierte Investmentgruppe oder Wagniskapitalabteilung von Konzernen wie IBM oder General Electric zugreifen, hieße das für die SAP, höchst aggressiv gegen die installierten Baan-Lösungen vorzugehen, also an die Stammkundschaft heranzutreten. Das könne nur durch eigene, optimierte Lösungen für die genannten Felder geschehen. Allerdings habe SAP dann den Beweis anzutreten, dass eine Migration auf die Lösung Gemini reibungsloser sei als ein Upgrade, so die Yankee Group.

Für Dienstleister wie IBM Global Services oder EDS stehe dagegen gleichsam nichts auf dem Spiel. Sie würden lediglich eine Art Feature in ihr umfangreiches Portfolio einbauen und die ERP-Landschaft dadurch nicht wesentlich verändern – nur dass ein Gegenpieler, Baan, eben wegfallen würde. Am interessantesten, so die Analysten, sei der Erwerb für GE Capital, die Investmentgesellschaft des amerikanischen Versorgers. Eine große Schnittmenge mit Baan in der Kundendatenbank könnte hier den Ausschlag geben.

Trotz dieser starken Großkunden-Diversität, die sich durch nahezu alle relevanten Industriezweige bewege, werde es aber dem Unternehmen nicht möglich sein, auf eigenen Beinen zu stehen und wieder als selbständige Firma zu agieren.

Auch eine Konzentration auf die eigenen Stärken wie ‘Transportation Planning’ und ‘Execution Solution’ werde Baan mangels eigener Geldmittel nicht weiterhelfen. Allerdings könne das Unternehmen seine Attraktivität dadurch erhöhen, dass es den nordamerikanischen Markt durch gezielte Marketing- und Vertriebsaktivitäten wieder stärker anspricht.

Das ursprünglich in den Niederlanden beheimatete Unternehmen solle, so die Analysten in einer aktuellen Mitteilung, den Markt gewissermaßen erziehen und besser über die Alleinstellungsmerkmale der Flaggschiffprodukte aufklären. Dabei komme Baan die strenge Konzentration auf Kernmärkte zugute, sowohl bei der Produktstrategie als auch in der Kundendatei.

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Silicon-Redaktion

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