Freibeuter und Freiheitliche

Es muss halt immer getrickst werden, wenn’s um die Umsetzung gefällig formulierter liberaler Ideale geht. Dessen eingedenk hatte sich wohl die FDP für die Europawahl auch den Slogan “Arbeit muss sich wieder lohnen” einfallen lassen.

Das war so eine Art freiheitliche Überrumpelungstaktik. Denn man dachte dabei natürlich unwillkürlich an die übliche Plackerei in Fabrik und Büro und daran, was man selbst am Monatsende dafür bekommt. “Was um alles in der Welt hat denn die FDP mit Leuten am Hut, die so einer unangenehmen Tätigkeit nachgehen müssen?” hat man sich völlig verunsichert gefragt.

Dann aber hat dankenswerter Weise die Frankfurter Allgemeine Zeitung, ein Blogger und der Südwestrundfunk über die Präsenz der FDP-Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin im Europäischen Parlament berichtet. Zwischen 38,9 Prozent (FAZ), 41 (EU-Parlament im Mai) beziehungsweise 62 Prozent (EU-Parlament im Juni) und 75 Prozent (Silvana Koch-Mehrin) schwanken die errechneten Anwesenheitsquoten. Würde eine Stechuhr soviel Konfusion über jemanden, der wirklich arbeitet, verbreiten, der Fabrikant würde einen Garantiefall geltend machen.

Aber solche Überlegungen greifen natürlich zu kurz. “Arbeit muss sich wieder lohnen”, hat die FDP plakatiert. Das darf selbstverständlich nicht so interpretiert werden, als müsse es sich für den lohnen, der tatsächlich arbeitet.

Arbeit soll sich wohl vielmehr für die lohnen, die nicht so gerne arbeiten – wie vielleicht Silvana Koch-Mehrin – oder den Chef, der nicht zum Arbeiten kommt, weil er sich so sehr über die wirre Stechuhr ärgern muss.

Und damit auch die Sache mit der Liberalität nicht falsch interpretiert wird, hat die FDP einen guten Anwalt beauftragt, die FAZ zu verklagen. Was allerdings nicht viel genützt hat. Denn die FAZ kann auch gute Anwälte bezahlen.

Dem Blogger wiederum drohte nach seinen Angaben ein guter Anwalt. Und an den Intendanten des SWR schrieb der Generalsekretär der FDP einen Brief, in dem er sich darüber beschwerte, dass einer von dessen Redakteuren sich bei Silvana Koch-Mehrin freundlich erkundigte, ob sie gelegentlich auch an ihrem Arbeitsplatz sei.

Tja, so ist’s bestellt um den politischen Liberalismus in Deutschland zwischen Skylla und Charybdis, zwischen Guido Westerwelle und Claudia Roth – oder umgekehrt. Klar, da ist wieder Platz für eine neue liberale Partei.

Und die Piraten formulieren doch ebenfalls so nett! “Was gibt es Schöneres, als das, was uns etwas bedeutet, mit anderen zu teilen? Wer maßt sich an, das Zwitschern der Vögel im Morgengrauen, die bis in die Tiefen der Seele vergüldenden Farben eines Sonnenuntergangs oder das Streicheln des Windes für sich zu beanspruchen? Wer kann sagen: ich habe die Liebe erfunden? – Niemand, sie erfindet sich täglich neu.” Das schreiben sie zum diesjährigen Welttag des geistigen Eigentums am 29. April.

Sie werben ja um Unterschriften für ihre Zulassung zur Bundestagswahl. Nur noch wenige würden fehlen.

Man ist da hin- und hergerissen. Man würde es ihnen eigentlich gönnen, die etablierten liberalen Parteien in Deutschland abzulösen. Aber andererseits möchte man diese jungen Idealisten gerade davor bewahren.

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Silicon-Redaktion

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  • Guter Artikel, nur ein häufiger Fehler
    Der Artikel ist gut verfasst und versucht nicht nur die Piratenpartei im politischen Parteienspektrum zu verorten, sondern ein bisschen hinter das Offensichtliche zu schauen.
    Leider wird aufgrund ungenauer Recherche ein typischer Fehler mit übernommen: Die Piratenpartei stammt mitnichten von einer Webseite ab. Die Piratenpartei (in Deutschland und Schweden) ist aus dem schwedischen Piratbyran -> zu dt: Piratenbüro, einer Art NGO-Lobbygruppe von Netzaktivisten, entstanden. Aus dieser haben sich wiederum auch Menschen gefunden, die einen eigenen Bittorrent-Tracker aufgezogen haben, den sie konsequenterweise thepiratebay.org nannten. Menschen, die sich für einen freien und ungehinderten Wissens- und Kulturaustausch im Internet einsetzen gibt es schon seit vielen Jahren. Neu ist nur, dass diese motiviert und entschlossen genug sind, mit ihren Anliegen auch in die Parlamente vorzustoßen.
    Der Schluss wiederum gefällt mir sehr gut. Schauen wir, ob es ihnen erspart bleibt, sich zu etablieren mit all seinen Konsequenzen. Noch hätten die etablierten Parteien die Macht dazu. Sie müssten nur die Gesetze ändern.

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