Das Jahr 2010 hat angefangen, als solle sich der Wechsel zur CDU/FDP-Regierung als konservative Wende in der deutschen IT-Politik niederschlagen. Zuerst ließen forcierte Bemühungen des Bundesinnenministeriums aufhorchen, die IT-Abteilungen seiner Einzelbehörden in wenigen Rechenzentren zusammenzufassen, was vermutlich die Chancen für Open-Source-Anbieter verschlechtern dürfte. Dann begründete der IT-Staatsvertrag ein neues Leitorgan für die deutsche IT-Politik, den IT-Planungsrat, der den Auftrag mitbekam, sich an “bestehenden Marktstandards” zu orientieren. Schließlich billigte die CDU/FDP-Mehrheit im Dresdener Landtag mit absurden Begründungen die proprietäre Orientierung der sächsischen IT-Politik.

Auf internationaler Ebene waren die Zeichen auch nicht besser. In der EU kam der Entwurf zu einer neuen Version des European Interoperability Framework (EIF) auf den Tisch, der offene Standards nicht mehr sauber definierte. Es passte zum Bild des reaktionären Rollbacks, das auch noch ein Entwurf für ein “Anti-Counterfeinting Trage Agreement (ACTA) auftauchte, der von Privatanwendern bis zu Internetprovidern alle kriminalisiert, die auch nur in den Verdacht kommen, illegale Kopien zu verwenden oder zu verbreiten.

Diese Ereignisse haben für einige Aufregung gesorgt. Die Sorgen waren groß genug, dass der Linux-Verband (LIVE) und die Linux Solutions Group (LiSoG) erstmals in ihrer Geschichte eine gemeinsame, warnende Presseerklärung veröffentlichten. Inzwischen dürften sich die Sorgenfalten glätten, denn in den letzten Wochen haben sich wichtige Persönlichkeiten eindeutig für offene Standards ausgesprochen.

Den Anfang machte Neelie Kroes am 10. Juni mit einer Rede auf dem Open Forum Europe in Brüssel. Einst oberste Wettbewerbshüterin der EU und bekannt aus den Verfahren gegen Microsoft, ist Kroes jetzt als EU-Kommissarin verantwortlich für die Digital Agenda. Auf dem Kongress erklärte sie: “Offen Standards zu wählen, ist eine sehr kluge Business-Entscheidung. Öffentliche und private Beschaffer von Technologie sollen clever sein und ihre Systeme so weit wie möglich auf Standards aufbauen, die jeder ohne Einschränkungen verwenden und implementieren kann.” Kroes: “Wirklich offene” Standards seien “nicht mit irgendwelchen Beschränkungen für Implementierer verbunden”.

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Silicon-Redaktion

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  • Geisterdiskussion
    Ob man mit Opemn Source oder proprietär nichts macht, ist letztlich egal. Wir können davon ausgehen, dass die öffentliche Hand jede Gelegenheit nutzen wird, nicht machen zu müssen. Entweder diskutiert sie über Signaturen und DE-MAIL, oder schiebt die Sicherheit vor oder sie diskutuiert in epichcer Breite proprietär vs. Open Source. Das Ergebnis ist immer das gleiche: ich kann dem Finanzamt kein E-Mail schicken, die schicken mir keine Bescheide per E-Mail, nichts. Obwohl vor 10 Jahren Brigitte Zypries dafür alles bereitstellen wollte.
    Aber gut, dass wir mal drüber gesprochen haben.

  • Fast eine Glosse?
    Also bei allem was rechts ist, konservative IT-Politik, Phrasendrescherei aus Brüssel und Berlin, soll man das wirklich ernst nehmen? Egal welche Farbe die derzeitigen Sprecher und -Innen auf ihrem politischen Mäntelchen haben, Ahnung von IT haben sie mit Sicherheit nicht.
    Gerade im Interview mit Abgeordneten auf regionaler, Landes- oder Bundesebene, zeigen sich erschreckende Defizite, selbst bei rudimentären Kenntnissen.
    Wer sich jedoch die Mühe macht, den Text des Kollegen Schmitz genau zu bewerten, wird sich über die vielen kleinen Stolperer der politisch Verantwortlichen freuen können.
    Klar läuft die OPEN-Gemeinde Amok, wenn sie das Wort proprietär vernimmt, aber, sie muss auch beachten, wer es verwendet.
    Meiner politischen Erfahrung nach, sind unsere Steuervernichtungsexperten froh, wenn nach ITK nicht weiter gefragt, sondern ihre stereotypen Lufthülsen so akzeptiert und abgedruckt werde. Traurig - aber wahr. DAS ist IT-Politik 2010! ;-)

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