Von KI noch „Lichtjahre entfernt“

„Viele mittelständische Unternehmen sind von einer Firmenstrategie zur Einführung von Künstlicher Intelligenz Lichtjahre entfernt“, sagt Jane Enny van Lambalgen, CEO der Beratungs- und Managementfirma Planet Industrial Excellence. Vielmehr gibt es nach ihren Erfahrungen viele Mittelständler, die über Jahre hinweg lediglich notwendige Ersatz- und kaum Modernisierungsinvestitionen vorgenommen haben. In vielen Betrieben haben dazu schlichtweg die finanziellen Mittel gefehlt.

„Bei Projektaufträgen stoßen wir regelmäßig auf über 20 Jahre alte ERP-Installationen“. In fast jedem Betrieb gebe es aber einzelne Bürobeschäftigte, die unabhängig von jedweder Firmenstrategie ChatGPT oder Gemini nutzten, um sich die Arbeit zu erleichtern, sagt Jane Enny van Lambalgen. Bei dieser „Schatten-KI“ blieben allerdings Datenschutz und Datensicherheit regelmäßig auf der Strecke.

Drei Gründe für die KI-Abstinenz

Für die KI-Abstinenz im Mittelstand hat die Beraterin vor allem drei Gründe ausgemacht: der durch den wirtschaftlichen „Überlebenskampf“ verursachte Tunnelblick, eine fehlende Zukunftsvision verbunden mit der Überforderung, auf die immer schneller werdenden Veränderungen zu reagieren, und eine Überlastung durch Bürokratie und Hierarchie, die ein Übermaß an Zeit und Geld verschlingt.

„Das sagt zwar niemand, aber es ist doch unübersehbar, dass zahlreiche Firmeninhaber erst dann investieren, wenn es unvermeidbar ist, um den Betrieb überhaupt aufrecht zu erhalten“, weiß Jane Enny van Lambalgen aus Beratunsporjekten: „Solange die Firma genügend Gewinn abwirft, mangelt es vielen mittelständischen Unternehmern an der Bereitschaft, ihre Komfortzone zu verlassen. Hinzu kommt die durch den berühmt-berüchtigten Tunnelblick verursachte Unkenntnis über aktuelle Entwicklungen abseits des Tagesgeschäfts.“

Bürokratie als Innovationshemmnis

Neben der mangelnden Zukunftsorientierung erweise sich in vielen Fällen die ausufernde Bürokratie als ein Innovationshemmnis. „Wenn an einem Gebäude auch nur minimale Änderungen etwa im Lager vorgenommen werden, so ruft das geradezu eine Flut von Behörden auf den Plan, die alle nach ihren Vorschriften prüfen und häufig Änderungen verlangen. Gelegentlich widersprechen sich die Forderungen sogar, auf jeden Fall sind sie in der Regel mit reichlich Aufwand verbunden“, so die Interimsmanagerin.

Häufig bedarf es nicht einmal Änderungen im Betrieb, sondern es kommen schlichtweg neue Auflagen hinzu, die nachträglich erfüllt werden müssen. „Ich kenne Fertigungsbetriebe, die haben in den letzten 20 Jahren vor allem investiert, um den immer strikteren Vorschriften beim Brandschutz und den ständig steigenden Sicherheitsanforderungen zu genügen, ohne dadurch irgendwelche betrieblichen Vorteile zu erlangen“, wirft Jane Enny van Lambalgen ein Schlaglicht auf die Realität in Teilen der mittelständischen Wirtschaft.

Kompetenzen für KI-Einführung fehlen

Daher haben „die meisten mittelständischen Unternehmen derzeit wichtigere Baustellen als Künstliche Intelligenz,“ sagt van Lambalgen. Dazu gehörten die Verbesserung von Betriebsprozessen, die Anpassung der Fertigung an den Stand der Technik, der Ausbau der Vertriebskanäle, die Modernisierung der IT-Infrastruktur, die Optimierung der Online-Aktivitäten, Maßnahmen zu Erhöhung der Kundenloyalität und die Stärkung der Resilienz insbesondere in den Lieferketten.

„KI kann bei einigen dieser Aufgaben helfen, etwa bei Betriebsprozessen wie im Einkauf, im Online-Bereich und bei der Kundenkommunikation.“ Allerdings sei der Einsatz von KI für technische Anwendungen, Auswertungen oder die Erstellung von Dashboards und KPIs komplex. Auch die Verarbeitung von Informationen aus älteren ERP-Systemen stellten eine meistens kostspielige Herausforderung dar. „Im Fokus hat die Erreichung der betrieblichen Ziele zu stehen. Künstliche Intelligenz sollte momentan nur dann eingeführt werden, wenn dies dem Unternehmen kurzfristig einen Nutzen bringt“, lautet ihre Empfehlung. Zudem fehlt nach ihren Erfahrungen in vielen Firmen schlichtweg die Kompetenz für eine KI-Einführung.

Roger Homrich

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