Wie KI zu nahtlosen Kundenerlebnissen beiträgt

Es gibt Unternehmen, die sehr stark auf die Kostenreduktion fokussieren und weniger auf guten Kundenservice, sagt Matthias Riveiro von PwC Deutschland im Interview.

Meine Erfahrungen als Kunde mit Contact oder Call Centern sind nicht die besten. Mir scheint, viel Technologie soll die Arbeit der “menschlichen“ Agenten übernehmen, um sie von Standardaufgaben zu befreien, damit sie sich auf ihre Fachkompetenz fokussieren können. Für mich als Anrufer wird es dadurch aber nicht besser. Woran liegt es?

Matthias Riveiro: Man kann sicherlich sagen, wenn ein Kunde erst einmal zehn verschiedene Fragen gestellt bekommt, die man dann teilweise gar nicht versteht, ist das sicher nicht zeitgemäß. Es gibt Unternehmen, die beim Thema Contact Center sehr stark auf die Kostenreduktion fokussieren und weniger auf guten Kundenservice. Einige Unternehmen haben sogar eine „Call Avoidance Strategie“, mit der sie vermeiden wollen, dass Kunden sich überhaupt an sie wenden können.

Das klingt nach Servicewüste Deutschland.

Matthias Riveiro: Leider gibt es noch viele Entscheider, die der der Meinung sind, Kundenservice ist ein unvermeidbares Anhängsel im Unternehmen. Sie haben eine sehr produktzentrische Sichtweise, wollen nur den Staubsauger, das Auto oder einen Platz im Flugzeug verkaufen. Dass der Staubsauger gut reinigt, ist natürlich auch wichtig und ein Kern der Wertschöpfung. Aber Unternehmen sollten den Wert von Kundenservice richtig einschätzen. Das ganze Thema Kundendialog ist ein strategischer Wettbewerbsfaktor. Insbesondere in Märkten, die hart umkämpft sind. In denen Produkte oder Tarife vergleichbar sind. Dann geht es nicht mehr nur um die Kernleistungen eines Produkts, sondern um ergänzende Dinge wie eben der Kundenservice. Die Kunden wollen wissen: Wie wird mir geholfen? Wo kann ich mich hinwenden, wenn es ein Problem gibt in der Anwendung? Oder ich möchte vielleicht sogar ein neues Produkt kaufen und mich informieren. Dann hat ein gut funktionierender Kundenservice sehr wohl eine hohe strategische Relevanz, was viele Unternehmen unterschätzen.

Diejenigen, die dies verstehen, konfrontieren ihre Kunden dann nicht mit einem schlecht gemachten Chatbot, sondern machen das besser. Man muss also verstehen, wie Kunden Kaufentscheidungen treffen? In welchem Markt man unterwegs ist und was erforderlich ist, um im Markt erfolgreich zu sein? Und da hat Kundenservice für viele Unternehmen eine hohe Relevanz.

Es ist auch etwas kurzfristig gedacht, selbst wenn Kunden mit einem Produkt zufrieden sind, aber bei einer Frage nicht weiterkommen. Es hat viel mit Reputation zu tun. Wenn ich Freunden sage, das Produkt ist zwar gut, aber wenn ihr ein Problem habt, dann wird es schwierig, kann sich das massiv auf den Erfolg auswirken.

Matthias Riveiro: Man muss berücksichtigen, wie die Korrelation zwischen einer Kauf- und Entscheidungsphase im Verhältnis zur Nutzungsdauer und dem Service-Anliegen aussieht. Bei einem Consumer-Produkt wie einem Laptop oder einem Fernseher, beschäftigen Sie sich vielleicht wenige Tage damit. Sie nutzen das Gerät aber in der Regel mehrere Jahre, und in dieser Zeit entstehen sehr viele Service-Anliegen. Es gibt Updates, Upgrades, technische Themen, Sie brauchen vielleicht ein Ersatzteil. Allein deswegen kann man diese Afterservice-Seite nicht vernachlässigen, und dem Kunden einen lieblosen Chatbot anbieten. Der Kunde möchte einen guten Service haben, was einen großen Einfluss auf die nächste Kaufentscheidung hat.

Klingt nicht neu. Warum tun sich die Unternehmen aber trotzdem so schwer mit diesem Thema?

Matthias Riveiro: Es ist ein Dilemma in vielen Unternehmen. Wir haben auf der einen Seite steigende Kosten in Deutschland, insbesondere bei den Personalkosten. Und dann tun die Kosten für den Kundenservice, in dem nur indirekt Geld erwirtschaftet wird, weh. Daher stellt sich die Frage, dass Unternehmen sich mit Fragen beschäftigen müssen, wie sie zukünftig Mitarbeiter einsetzen? Für welche Tätigkeiten kann ich Technologien einsetzen, die es heute schon gibt? Dabei geht es darum, qualifiziertere Mitarbeiter für komplexere Themen einzusetzen, die den Kunden wirklich helfen und Mehrwerte schaffen und für einfache Dinge Technologien, zum Beispiel durch generative KI unterstützte Spracheroboter, installiere.

Wie sorgt die KI denn für nahtlose Kundenerlebnisse? Chatbots oder RPA gibt es schon länger. Was ist also wirklich neu an KI und Kundenerlebnis?

Matthias Riveiro: Die Leistungsfähigkeit der Systeme ist in den letzten beiden Jahren enorm gestiegen. Auch bei einem Kundenservice, der noch auf Menschen setzt. Eine Generative KI kann allein durch das Mithören eines Gespräches oder durch das vorherige Lesen einer Kundenanfrage, Antworten vorschlagen, die ein sehr erfahrener Mitarbeiter vielleicht hätte selbst liefern können, aber ein unerfahrener Mitarbeiter nicht so einfach beantworten kann.

Also die KI als Unterstützer des Menschen?

Matthias Riveiro: Genau, der vielleicht sonst hätte weiterverbinden müssen, oder den Kunden zehn Minuten weggedrückt hätte, um in irgendwelchen Datenbanken nach Antworten zu suchen, oder eben eine halbgare Auskunft gegeben hätte. Der Kunde merkt, das hat ihm nicht wirklich geholfen und meldet sich dann erneut, in der Hoffnung auf einen „kompetenteren“ Ansprechpartner zu stoßen. Daher ist die Funktion eines Copiloten im Bereich der KI derzeit ein sehr großer Anwendungsbereich. Es geht also momentan nicht darum, den Menschen durch KI zu ersetzen.

Es wird aber eher der Eindruck erweckt, die Leute komplett ersetzen zu können.

Matthias Riveiro: Es ist eine einfache Milchmädchenrechnung. Nehmen Sie große Konzerne wie eine Deutsche Bahn oder Lufthansa, die Millionen von Kontakten haben. Wenn die KI Mitarbeiter so unterstützen kann, dass ein Gespräch 30 oder 40 Sekunden kürzer dauert, und diese Zeitersparnis multiplizieren mit den Millionen von Kontakten, brauchen sie dann tatsächlich weniger Personal.

Anderes Beispiel: Auch Callcenter-Dienstleister, die diese Leistung für andere Unternehmen erbringen, müssen die Dialoge für ihre Kunden zusammenfassen und dokumentieren. Das kann die KI so zusammenfassen, dass der Kunde nur noch drüber schaut. Dabei wird die Qualität mit jedem Gespräch immer besser, was die Arbeit Mitarbeiter deutlich erleichtert. Dann dauert eine solche Zusammenfassung nur noch eine Minute statt drei oder vier. Diese Überlegungen haben momentan bei unseren Kunden Priorität: Die Mitarbeiter zu unterstützen, die Qualität zu verbessern und Aufwand zu verringern. Weniger geht es in die Richtung, Menschen komplett zu ersetzen.

Dafür muss die KI aber vorher gefüttert werden. Wie füttere ich denn in diesem speziellen Fall meine KI?

Matthias Riveiro: Mit alldem was genutzt wird, um Mitarbeiter zu trainieren. Bevor heute Mitarbeiter auf die Kunden losgelassen werden, dauert es oft mehrere Wochen. Sie müssen Tarifinformationen, Produktbeschreibungen, spezialisierte Features, Betriebsanleitungen, Handbücher, Regularien lerne, plus operative Prozesse oder Dialogabläufe. All das kommt in diese KI-Systeme. Die Kundenberater können sich dann von der KI unterstützen lassen. Und erst wenn die Qualität dessen, was die KI bietet, hoch genug ist, können einzelne Prozesse ganz auf einen KI-Chatbot verlagert werden.  

Was ist mit Hyperpersonalisierung genau gemeint?

Matthias Riveiro: In diesem Begriff steckt eigentlich das Tante-Emma-Prinzip drin. Das heißt, sie kommen zum Unternehmen über einen Kanal und man kennt sie, kennt ihre Historie weiß und weiß genau, was sie möchten und kann daher ein Angebot exakt personalisieren. Das erweitert sich jetzt aus der Produktnutzung in Richtung Serviceerwartung. Das der Weinhändler nicht nur weiß, welchen Wein Sie, zu welchem Essen präferieren, sondern auch weiß, welchen Kanal sie priorisieren. Wollen Sie mit mir über WhatsApp kommunizieren, per Chatbot, Telefon oder Rückruf? Wollen Sie lieber einmal im Quartal einen Außendienstmitarbeiter sehen und zu welchen Zeiten? Damit kann man den Kundenservice immer weiter personalisieren und genau auf die Bedürfnisse des Kunden zuschneiden, um sich weiter im Wettbewerb zu differenzieren.

Warum der Vergleich mit Tante Emma?

Matthias Riveiro: Weil man in einem Tante-Emma-Laden wusste, was die einzelnen Kunden wollten und daher auch antizipieren konnte, ob ein neues Produkt vielleicht einem bestimmten Kunden gefallen könnte. Es geht also heute darum, die einzelnen Interaktionskanäle zu verzahnen. Als Beispiel eine Reiseplanung, die Sie über ein Reiseportal starten. Irgendwann werden Ihnen die Varianten zu komplex, dann rufen Sie beim Anbieter an, einen Beratungstermin vereinbaren, und der Kundenberater sieht dann im Reiseladen, was Sie bisher online konfiguriert haben, und können Sie dann gezielt weiter beraten.

Welche KI setzen Sie in Ihren Projekten für den Aufbau eines modernen Contact Centers ein?

Matthias Riveiro: Es gibt Unternehmen, die haben ihre eigenen Entwicklerteams, die Lösungen selbst entwickeln. Aber in der Regel greifen Unternehmen zu Standardlösungen wie. Cognigy, Parloa, Nuance oder Google. In unseren Projekten schauen wir uns erst die konkreten Use Cases an. Zum Beispiel bei einem Callcenter-Dienstleister, der wissen will, wie er mit generativer KI seine Prozesse optimieren kann. Ruft ein Kunde an, kann die KI den Kunden anhand von Namen oder Kundennummer identifizieren. Dann hat der Agent zum Beispiel schon einen aktuellen Vertrag auf seinem Bildschirm, und weiß genau, der Anrufer spricht deutsch, kommt aus der Region X und hat vielleicht schon Mal wegen einer anderen Frage angerufen. Solche Fälle gehen wir dann nach diversen Kriterien durch und setzen sie mit der KI um.

Merken sie denn, dass der Markt auf dieses KI-Thema springt? Wenn ich mal potenziellen Nutzern spreche, habe ich oft das Gefühl, da besteht noch ein großes Fragezeichen und große Verwirrung. Hat sich das geändert?

Matthias Riveiro: Wir haben fast kein Kundengespräch mehr, in dem es nicht um Generative KI geht. Also, das ist immer, man steht im Fokus, man Randgebiet, aber es geht immer um Generative KI. Wirklich alle Unternehmen beschäftigen sich mit Fragen, wie sie KI nutzen können? Was ihnen KI bringt?

Was die Unternehmen aber im Moment noch machen, sind erste zarte Pflänzchen, Testversuche, Pilotierungen. Also prozentual, würde ich mal so sagen, ist das wahrscheinlich eher noch im niedrigen, einstelligen Prozentbereich. Schließlich nutzen die Unternehmen bereits andere digitale Kanäle wie Self-Service-Portale mit Lock-in, E-Mails werden automatisch beantwortet, Apps, FAQs und so weiter. Aber ich bin fest davon überzeugt, und dies zeigen auch die Zahlen, dass sich durch die Leistungsfähigkeit der KI das schnell verändern wird. Bis wir aber ein Signifikanzlevel von 30 bis 50 Prozent erreichen, mit der sich durch KI Dialoge automatisieren lassen, werden wir eher in einer Zeitspanne von 4 bis 5 Jahren denken müssen?

 

Matthias Riveiro

ist Partner bei PwC Deutschland. Er berät Unternehmen im Themengebiet Service-Strategieentwicklung, Callcenter, Outsourcing und Kundendialog.