Joachim Schreiner

Welche Chancen bietet das Social Web für Unternehmen, Politik und Gesellschaft? Freuen Sie sich auf direkte und unverblümte Antworten von Joachim Schreiner, SVP Salesforce Central Europe.

Deutscher Kundenservice – Keine Wüste aber auch keine (Wohlfühl)-Oase!

Gefangen in der Endlosschleife im Kundenservice, oder ein “da kann ich ihnen jetzt nicht weiterhelfen … ” Joachim Schreiner von Salesforce blickt auf den Status Quo der “Service-Wüste Deutschland”.

Sicherlich müssen Sie nicht lange darüber nachdenken, wann Sie zuletzt eine böse Überraschung beim Kundendienst eines Unternehmens erlebt haben. Lassen Sie mich raten, bestimmt mussten Sie sich über vergeudete Lebenszeit in einer Warteschleife, unnütze Antworten oder ruppige Gegenüber ärgern. Wenn Sie nun zustimmend nicken, bestätigen Sie die Ergebnisse einer Umfrage, in der wir gemeinsam mit YouGov den Status-quo der Servicequalität in Deutschland ermittelt haben.

Microservices (Grafik: Shutterstock)

Zwar hat sich in Sachen Servicequalität einiges getan, seit der Unternehmer Hermann Simon 1995 den Begriff der “Servicewüste Deutschland” geprägt hat, dennoch ist der Handlungsbedarf weiterhin enorm. Denn immerhin 37 Prozent der 3.245 Befragten fühlen sich in Sachen Service quer durch die Branchen als Bittsteller. Sie beklagen unter anderem Unfreundlichkeit und Inkompetenz (jeweils 41 Prozent) oder wurden durch lange Wartezeiten (30 Prozent) enttäuscht. Der Auftrag scheint klar: Deutsche Unternehmen müssen schleunigst eine Schippe drauflegen beim Service.

Die richtigen Schlüsse ziehen

Das Innovationstempo der heutigen Zeit erzeugt nicht nur neue Produkte quasi im Minutentakt, es erzeugt auch eine neue Erwartungshaltung sowie eine Verhaltensänderung der Kunden. Nie zuvor war es einfacher, einem Unternehmen den Rücken zu kehren, in der Aussicht auf ein noch besseres Angebot, und nie zuvor war die Bereitschaft dazu höher. Kundenloyalität ist zu einer scheinbar unlösbaren Aufgabe geworden. Produkteigenschaften rücken dabei immer mehr in den Hintergrund. Vielmehr zählt das Erlebnis. Das Smartphone ist ein glänzendes Beispiel: Kaum jemand interessiert sich ernsthaft für die Leistung, für die Komponenten oder die Technologie dahinter. Sondern ausschließlich dafür, welches Nutzererlebnis es bietet. Und vielleicht noch das äußerliche Design des Geräts. Und einen hohen Anteil an den Erlebnissen, die ein Produkt bzw. Unternehmen bereitet, hat der Service.

Welche Schlüsse sollten Unternehmen aus diesen Tatsachen ziehen? Zu den wichtigsten Voraussetzungen gehört es, das richtige Verständnis für die Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche seiner Kunden zu entwickeln, daraus die entsprechende Haltung abzuleiten und diese in der Unternehmenskultur zu verankern. Wenngleich Technologie auch in diesem Kontext ein wesentliches Vehikel darstellt, um ein Ziel zu erreichen, muss es zunächst doch formuliert und verortet werden. Denn der Kundenerfolg, die Kundenzentriertheit, mit ihren äußerlichen Attributen wie exzellentem Service, beginnt von Innen.

Technologie – Hürde und Steigbügel zugleich

Voraussetzung dafür ist ein Kulturwandel, bei dem sich ein Unternehmen in erster Linie an den Kundenbedürfnissen orientiert, und zwar sowohl organisatorisch als auch systemisch: Mit einer Organisationsstruktur, die auch Stellschrauben wie KPIs holistisch betrachtet und anwendet. Wenn beispielsweise das Call Center ausschließlich an zeitlichen Parametern wie der Bearbeitungsdauer und nicht an der Zufriedenheit gemessen wird, haben die Service-Mitarbeiter keine Motivation, dem Kunden über die möglichst schnelle Lösung seines Problems hinaus einen Mehrwert zu bieten. Wie beispielsweise einen Hinweis auf ein Feature seines Produkts, das ihm entsprechend seines individuellen Profils einen echten Zusatznutzen und damit ein neuartiges, begeisterndes Erlebnis, bietet. Das dauert zwar etwas länger, ist aber ein wertvoller Beitrag zur Kundenbindung und -begeisterung. Und zwar mit verhältnismäßig geringem Aufwand aus einer reaktiven Serviceposition heraus.

An dieser Stelle kommt Technologie ins Spiel. Nach der strategischen Entscheidung, den Kundendienst zu einem maßgeblichen Gestalter des Kundenerlebnisses zu machen, folgt die Implementierung der entsprechenden Organisationsstruktur sowie adäquater Technologie. Sie soll unter anderem dazu dienen, den Informationszugriff, zeit-, ort-, kanal- und mitarbeiterunabhängig zu gestalten, damit der Kundenkontakt nicht nur reibungslos verläuft, sondern vor allem auch begeistert. Darüber hinaus entwickelt sich der Service immer mehr zu einer proaktiven Aufgabe. Hinzu kommt eine steigende Komplexität technischer Anforderungen durch die Vielfalt neuer Kanäle wie Apps, sozialen Netzwerken und Messenger. All diese Veränderungen verunsichern viele Unternehmen. Und doch ist es Technologie, die Abhilfe schaffen kann.

Neue Antworten oder Fragen

Denn insbesondere im Service kann Künstliche Intelligenz einen wertvollen Beitrag leisten. Indem die richtigen Kanäle zur richtigen Zeit genutzt werden. Die richtigen Antworten in Echtzeit aufgefunden werden. Automatisch der Experte im Team die Anfrage zu einem speziellen Thema zugewiesen bekommt. Und vorausschauend Probleme verhindert werden, bevor sie entstehen: Durch das Auffinden von potenziellen Kundenproblemen durch Social Media-Monitoring (Bilderkennung). Durch proaktiven Kundenservice basierend auf Kundenverhalten sowie Nutzungsdaten von IoT-Sensoren und vernetzten Geräten.

Damit stehen wir derzeit am Anfang einer Entwicklung, die sich in absehbarer Zeit enorm beschleunigen wird. Worauf ich wirklich gespannt bin: Wenn wir die Umfrage zur „Servicelandschaft Deutschland“ in sagen wir einmal fünf Jahren wiederholen – werden sich dann die Antworten geändert haben? Oder werden wir ganz andere Fragen stellen?