HP verkauft jede Menge Drucker und PCs. Daher beherrscht das Unternehmen auch das Geschäft mit Endverbrauchern. HP ist, gemessen am Umsatz auch der größte IT-Hersteller (nachdem IBM die PC-Sparte verkauft hatte). Diesen Titel hat sich HP nicht nur mit Services, sondern eben auch im Verkauf von Intel-basierter Hardware, auf der meist ein Windows-Betriebssystem läuft, erkämpft. Dieser Erfolg hat jedoch seinen Preis. HP macht sich so von den starken Partnern abhängig. Doch vor einigen Stunden hat HPs neuer CEO klar gemacht, wohin die Reise gehen soll.

“Die neue Strategie und Vision von HP ist solide”, kommentiert Mark Fabbi, Analyst bei Gartner gegenüber silicon.de. “Sie konzentrieren sich auf einige Schwerpunkte, aber was wir eben nicht gehört haben ist, wie sie die Ideen und Fokussierung bei Cloud, Connectivity und Software umsetzen wollen.”

Andere Analysten glauben aber durchaus, einige konkrete Schritte HPs aus der doch recht blumigen Ankündigung herauslesen zu können. Einen Weg, sich aus dieser “Umklammerung” der Wintel-Plattform herauszuschälen ist das Betriebssystem WebOS, das HP mit Palm übernommen hat.

Um WebOS herum soll es einen App-Shop geben, der Konsumenten und Unternehmen gleichermaßen bedient. Das Ganze wird abgerundet von mobilen Geräten auf der Client-Seite und Cloud- beziehungsweise Hybrid-Modellen bei den Unternehmen, denen HP künftig mehr Echtzeitanalyse, Data-Management und Business Intelligence anbieten will. So lässt sich vielleicht HPs Zukunftsvision auf ein paar Zeilen destillieren.

HP will, wie angekündigt, das Betriebssystem ab 2012 nicht nur auf mobile Geräte, Smartphones oder Tablets bringen, sondern auch auf PCs und Druckern oder Kameras. Eine große installierte Basis ist ein Ziel, das ein offenbar ziemlich aufgeräumter Leo Apotheker noch verhältnismäßig leicht erreichen kann. Hundert Millionen Geräte will er mit WebOS vertreiben. Das scheint machbar, angesichts der Tatsache, dass HP alleine 2010 60 Millionen PCs verkauft hat.

Klasse statt Masse

“Doch die Stückzahlen alleine werden nicht reichen”, erklärt Rüdiger Spies, Analyst bei IDC. HP hat zum Beispiel das Tablet Slate immer wieder verschoben. Es scheint offenbar nicht ganz so trivial zu sein, das Betriebssystem dahingehend anzupassen. “HP wird verschiedene Ausprägungen von WebOS brauchen. Je nachdem was für ein Gerät dabei unterstützt werden wird”, prognostiziert Spies.

HP wird, wie es derzeit den Anschein hat, WebOS auf PCs jedoch nicht als Dualboot-Alternative zu Windows 7 anbieten, sondern in einem Browser, wie Google das bereits mit Chrome OS vormacht. Damit tritt HP nicht nur in Konkurrenz mit Google, sondern läuft auch Gefahr mit Microsoft einen überlebenswichtigen Partner zu verlieren. “In meinen Augen sollte HP es sich mit Microsoft nicht verscherzen”, urteilt daher auch Rüdiger Spies. Möglicherweise ist die Rücknahme der Planung des Dualboots bereits dem Partner Microsoft geschuldet. Dennoch sollte HP die strategische Partnerschaft mit Microsoft nicht überstrapazieren, glaubt Spies.

Insgesamt sieht Spies, wie auch Fabbi, in dem HP-Announcement eine runde Sache. Aber “die Fähigkeit, das was da vollmundig angekündigt wird, auch auszuliefern, das wird Leo Apotheker mit seiner Mannschaft jetzt beweisen müssen”, fordert Spies. Denn in der Vergangenheit habe HP – allerdings unter Mark Hurd und Charly Fiorina – häufig große Potentiale schlichtweg verschlafen oder Ankündigungen nicht entsprechend umgesetzt.

Shop um jeden Preis

Auch wenn Apotheker in den Augen seines Kritikers Spies viel an Selbstvertrauen gewonnen hat, wird die Vision des HP-App-Stores sicherlich eine der großen Herausforderungen für HP. “Nokia ist mit dem Ovi-Store bereits mehr oder weniger gescheitert, Microsoft ist in diesem Markt mit dem Windows Mobile-Shop aktiv und versucht als Newcomer Fuß zu fassen. Google und Apple haben es hingegen gezeigt, wie es geht”, erläutert Spies.

“HP ist auf Gedeih und Verderb auf diesen Shop angewiesen.” Denn HP braucht einen Marktplatz, auf dem es die vielbeschworenen Anwendungen für WebOS, das ja sozusagen der fünfte Mobilkontinent werden soll, vertreibt.

Und das Vertrauen der Experten in HP, ein derartiges Projekt auch umzusetzen, ist gelinde gesagt eher mäßig. Zwar würde HP den Consumer-Markt wirklich gut ‘beherrschen’, doch fällt die Rede auf HP und Software, dann “passt das eigentlich nur bei HP OpenView, also dem Systems Management, wirklich gut zusammen”.

SAP-Kauf ausgeschlossen!

Als positiv wertet Spies die Tatsache, dass HP hier das Thema Daten-Management künftig stärker angehen wolle. Allerdings glaubt Spies, dass HP hier ohne Übernahmen nicht mit der Entwicklung wird mithalten können. Sein “Rat” an HP wäre, SAS Institute, Teradata oder auch Tibco zu kaufen. Alleine schon deshalb weil Unternehmen wie Microsoft, SAP oder VMware den Entwickler-Arbeitsmarkt “aufsaugen”. Eine Übernahme von SAP hält Spies hingegen für ausgeschlossen. Die Kartellämter der USA und der EU, aber auch IBM und zuletzt die Kunden, die sich eine unabhängige SAP wünschen, werden seiner Meinung nach diesen Zusammenschluss zu verhindern wissen.

Doch zurück zu WebOS. HPs Hardware unterscheidet sich nicht signifikant von der anderer Hersteller. Daher muss die Unterscheidung über entsprechende Software-Angebote getroffen werden, die laut HP-Vision eben die gesamte Infrastruktur umfassen werden.

“Wenn sie weiterhin im PC- und im Geräte-für-Verbraucher-Business mitspielen wollen, müssen sie das schaffen, ansonsten endet HP im Commodity-PC-Business”, erklärt Frank Gillett, Forrester-Analyst. “Ich glaube, dass HP seit einiger Zeit um jeden Preis einer Software-Plattform (wie WebOS) habhaft werden wollte. Von Beginn (der Palm-Übernahme) an, war es eine Wette darauf, die Profitmarge von PCs und Geräten zu erhöhen. Alles andere würde dazu führen, dass sie in einem aufreibenden Geschäft mit einigen Anbietern über den Preis konkurrieren.”

Eine Möglichkeit für HP könnte die “Personal Cloud” sein – eine Cloud, in der jeder Nutzer alle seine Informationen ablegen, verwalten und diese (dank WebOS) dann über alle Geräte wieder abfragen kann. Aber auch das kann man bereits für rund 100 Euro im Jahr von Apple beziehen – und nennt sich MobileMe.

Die wahren Gegner

“Es sind sehr ambitionierte Ziele”, erklärt Forrester-Analyst Gillett in Bezug auf HPs Cloud-Visionen. “Aber das sind die Versuche, die man unternimmt, um einen Preiskampf aufzubrechen, den andere diktieren.”

“Für mich fühlt sich HP derzeit nicht an wie der führende IT-Hersteller, auch wenn HP das gemessen am Umsatz ist”, erklärt hingegen Spies. Und eigentlich sollten die HP-Konkurrenten nicht Google, Apple oder Microsoft heißen. Die eigentlichen Konkurrenten heißen Oracle und natürlich IBM. Auch wenn IBM ‘nur’ die Nummer zwei auf dem Markt ist, ist es für Spies nur “eine Frage der Zeit, bis IBM wieder an der Spitze steht, denn HP hatte in den vergangenen Jahren nicht die Disziplin, nicht die strategische Ausrichtung, um an dem lukrativen Geschäft mit Software und Beratungsservices so teil zu haben, wie IBM das inzwischen seit zehn Jahren macht.” Für Spies hat IBM derzeit einen enormen Vorsprung. “IBM ist in dem Hundertsten Jahr der Geschichte des Unternehmens so stark aufgestellt wie selten zuvor.” Und vor HP steht jetzt die Aufgabe, wieder zu einem Unternehmen zu werden, das Standards setzt und nicht auf Trends reagiert.

Silicon-Redaktion

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