Gentests für IBM: Von wem stammen wir ab?

Das ‘Genographic Project’ will die Besiedlung der Erde durch den Menschen erforschen. Das Projekt stellt auch für die Computertechnik eine Herausforderung.

Rosset rechnet mit mehr als 100.000 DNA-Proben, die in zehn Forschungszentren gesammelt und ausgewertet werden. In West-Europa nehmen das englische Wellcome Trust Sanger Institute, Cambridge, und das Pasteur-Institut mit der Abteilung Molecular Prevention/Therapy of Human Diseases, Paris, daran teil. Wells ist zudem davon überzeugt, dass im Laufe der Zeit der Kenntnisstand wächst und damit mehr und reichhaltigere Auswertungen notwendig sein werden. Ohnehin gelten die Analysen des Genmaterials nur als Ergänzung bisheriger Forschung. So ist es notwendig, die Daten mit physiognomischen, ethnologischen, morphologischen und sprachgeschichtlichen Informationen anzureichern. Doch noch weiß der IBM-Forscher Rosset nicht, ob IBMs Supercomputer ‘Blue Gene’, der zurzeit für die Erforschung des Weltraums verwendet wird, zum Einsatz kommt.

Persönlicher geht es nicht

Sicher ist hingegen, dass die Daten sehr sensibel sind, selbst wenn keine medizinischen erhoben werden oder solche, mit denen sich Verwandtschaftsbeziehungen aufdecken lassen. Denn zum einen sollen die Daten niemandem beziehungsweise der Menschheit gehören. Forscher aus aller Welt sollen damit arbeiten können. Zugleich erhalten die DNA-Spender einen Code-Schlüssel, mit dem sie die Auswertungen der eigenen DNA von der Genographic-Website abrufen können.

Zu denen, die sich ihre DNA schon haben bestimmen lassen, gehört Battur Tumur. Er lebt heute in den USA, stammt aber aus der Mongolei, genauer gesagt aus Ulaanbaatar, wo er aufwuchs. Seit seinem Gentest weiß er, dass Dschingis Khan ein Vorfahre war. “Meine Familie und ich waren so überrascht und glücklich, als wir die Nachricht erhielten. Jeder Mongole schwärmt für ihn und möchte verwandt sein”, sagt Tumur. “Die meisten haben nie von der Mongolei gehört, aber alle kennen Dschingis Khan.”

Die Website soll zudem den Fortschritt des Projekts dokumentieren. Der wichtigste grafische Bestandteil in eine interaktive Karte oder ein Atlas, auf dem die Wanderungsbewegungen eingetragen werden genauso wie das Aussterben bestimmter Stämme wie das der Neandertaler.

Europa gehört laut Wells zu den Regionen, die genetisch bereits am besten erfasst sind. Trotzdem ermuntert Genographic-Leiter Wells auch hierzulande Privatpersonen an dem Projekt teilzunehmen. Denn etwa 20 Prozent des Test-Set-Preises gehen in die Unterstützung von Naturvölkern. Ihre Kultur soll dadurch bewahrt und ihre Schulbildung gefördert werden.

Das Überleben bleibt ungewiss

Julius Indaaya Hun/!un//!!ume (die Zeichenfolge ‘/!’ beschreibt Klicklaute) gehört einem solchen Volk an, den Hadzabe. Heute leben noch rund 1500 Menschen dieser Abstammung, die sich über 50.000 Jahre zurückverfolgen lässt, rund um den Eyasi-See im Norden von Tansania. Sie bilden eines der letzten Jäger- und Sammler-Völker dieser Erde. Die Hadzabe sprechen Khoisan, eine komplizierte Sprache mit Klicklauten, die mit der verwandt ist, die die San-Buschmänner in Südafrika benutzen. Der Sprache und der Lebensweise der matrilokalen Gesellschaft der Afrikaner – die monogamen Männer ziehen nach der Heirat zum Stamm ihrer Frau – droht der Tod. Das Genographic-Projekt, so hofft ihr Sprecher Indaya Hun/!un//!!ume, möge helfen, genügend Aufmerksamkeit auf diese Gefahr zu lenken.

Noch ist die Genographic-Karte leer. Neben IBM ist die National Geographic Society dafür verantwortlich, dass sie sich füllt. Die Non-Profit-Organisation, die 1888 gegründet wurde und in Washington D.C. beheimatet ist, veröffentlicht fünf Magazine in 24 Sprachen, Filme, Fernsehprogramme, Radiosendungen, Videos und Karten. Das Geld für dieses Projekt stammt zum Großteil von der Waitt Familiy Foundation aus dem kalifornischen La Jolla.