Politiker und Open Source: Tölpel oder Lobby-Opfer?

Der vom bürgerlichen Lager in der Politik propagierte Retrotrend weg von offenen Standards und Open Source hin zu “Marktstandards” und proprietärer Software in der öffentlichen Verwaltung hat viele Ansatzpunkte. Eine Analyse.

Die Abkehr von Open Source in der öffentlichen Verwaltung wird immer deutlicher. Unter dem Mantel progressiv klingender Slogans wie “Green IT” und “Konsolidierung” laufen in der IT der Behörden Projekte, die bestenfalls als altbacken zu bezeichnende Ziele verfolgen. Am augenfälligsten bringt das die Maxime zum Ausdruck, die IT des Public Sectors müsse “bestehenden Marktstandards” folgen. Von den früher angestrebten offenen, international anerkannten und herstellerunabhängigen Standards ist keine Rede mehr.

Vielmehr offenbaren die Formulierungen der Politiker mehr als eine Denkungsart. Die Aussagen zur Begründung des Retro-Trends sind polemisch, die unübersehbare Ahnungslosigkeit produziert nicht nur Widersprüche. Sie deuten vielmehrt auch auf Spuren der Lobbyarbeit von proprietär orientierten IT-Firmen hin. Daraus müssten Open-Source-orientierte Kreise Konsequenzen ziehen.

Ein in dieser Hinsicht aufschlussreicher Fall hat sich am 20 Mai dieses Jahres ereignet: Der sächsische Landtag lehnte mit den Stimmen von CDU und FDP einen von den Grünen eingebrachten Entschließungsantrag ab, der die Entwicklung einer IT-Strategie zur Umstellung der Staatsverwaltung auf Open Source bewirken sollte. Anlass der Debatte war eine große Anfrage der Grünen zu 56 Aspekten gewesen. Auf die hat merkwürdiger Weise nicht etwa das sächsische Staatsministerium für Wirtschaft oder das für Inneres, sondern das für Justiz und Europa (SMJ) geantwortet (PDF).

Die 29-seitige Antwort, in der parlamentarischen Debatte verteidigt von Justizminister Jürgen Martens (FDP), spricht in mehrfacher Hinsicht Bände. Im Folgenden ist zu beachten, dass die Grünen und in der Folge auch das SMJ den sperrigen Ausdruck “Free and Libre Open Source Software”, kurz FLOSS, verwenden.

Nach Angaben des sächsischen Justizministeriums arbeiten die Staatsverwaltung, also die Ministerien und ihre nachgeordneten Behörden und Einrichtungen, mit 349.525 proprietären Softwarelizenzen. Dies verursacht jährliche Lizenzkosten von knapp über 9,3 Millionen Euro, hinzu kommen etwas mehr als 4,3 Millionen Euro für jährliche Support-Kosten. Dem gegenüber nutzt die Staatsverwaltung 6.216 FLOSS-Lizenzen, wobei hierzu die Kostenfrage nicht beantwortet ist. Das heißt: Auf 100 proprietäre Softwareprodukte kommen nicht einmal zwei quelloffene. Oder: Nur 1,7 Prozent der Softwarelizenzen in der sächsischen Staatsverwaltung beziehen sich auf Open-Source-Software. Nicht gerechnet ist dabei die IT der Kommunen.

Wie die Grünen in ihrer Anfrage in Erinnerung bringen, hatte der sächsische Rechnungshof schon 2004 festgestellt, dass damals “nicht einmal 400 von 44.000 Arbeitsplätzen der Verwaltung mit freier Software ausgestattet waren, aber 98 Prozent mit Microsoft-Programmen. Von den 2,3 Millionen Euro Lizenzgebühren gingen 92 Prozent an Microsoft.” Am Verhältnis zwischen proprietärer und Open-Source-Software hat sich also in den letzten Jahren nichts wesentliches geändert. Allerdings sind die Kosten für proprietäre Software geradezu explodiert.