Russische Softwerker: Einsame Spitze bei Termin- und Budgettreue

Russland und die übrigen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion sind als Lieferanten von hochwertigen Softwareprodukten hierzulande immer noch ein Geheimtipp.

Russland und die übrigen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion sind als Lieferanten von hochwertigen Softwareprodukten hierzulande immer noch ein Geheimtipp. Zwar beziehen Großkonzerne wie DaimlerChrysler, Siemens oder SAP schon seit vielen Jahren Software als Zulieferteil für ihre Produkte aus Russland, doch im weltweiten Maßstab beträgt der Anteil deutscher Firmen an dem wachsenden Software-Zuliefergeschäft der russischen IT-Industrie gerade einmal 13 Prozent.
Für Alexander Jegoroff, Chef des St. Petersburger Software-Unternehmens Reksoft, beruht dieser magere Wert allein auf dem schlechten Geschäfts-Image, das die Russische Föderation insgesamt immer noch bei den meisten Deutschen hat. “Die deutschen Massenmedien berichten negativ selektiv über Russland und bauschen längst überwundene Krisenerscheinungen in unserem Land auf, erklärte der makellos Deutsch sprechende Firmenboss neulich auf einem Outsourcing-Forum des Industrieverbands Bitkom in München.

Objektiv gebe es keine Gründe mehr, so Jegoroff weiter, warum sich deutsche Unternehmen nicht in größerem Maße die hervorragende Expertise der russischen Softwerker zunutze machen: die Agentur Moodys habe erst kürzlich das Rating von Russland gleich um zwei Stufen erhöht, die Gesetzgebung zum Schutz ausländischer Investitionen und des geistigen Eigentums entspreche mittlerweile höchsten internationalen Standards, die IT-Industrie erreiche seit drei Jahren regelmäßig zweistellige Wachstumsraten und nicht zuletzt sei der Leistungsstand der Softwareentwicklung in Russland Weltspitze.

<b>Jede Menge ungenutztes Potenzial</b>

Jegoroff, der auch Vorsitzender von Russoft, des Verbandes der russischen Software-Ingenieure ist, wörtlich: “Wenn man die gebotenen Chancen nützt, kann man sich in Russland dumm und dämlich verdienen. Ich weiß nicht, warum nicht mehr deutsche Unternehmer diese Chancen erkennen.”

Dass andere Regionen die russische Expertise besser zu nutzen wissen, zeigt die Statistik: besonders US-amerikanische Firmen lassen ihre Software in weit höherem Maße als die Deutschen in Russland fertigen, allen voran Giganten wie General Electric und Boeing.

Der Boeing-Zulieferer Luxoft ist im übrigen eine von zwei russischen Software-Produktionsfirmen, welche die so genannte CMM-Level-5-Zertifizierung haben. Zur Erläuterung: dieses Zertifizierungsniveau bedeutet, dass ein solches Unternehmen rund 90 Prozent der übernommenen Projekte termingerecht und ohne Überschreiten des gesetzten Budgets abschließt. Eine wachsende Zahl von Unternehmen in Russland hat  darüber hinaus CMM-Level-3-Zertifizierung oder zumindest vom deutschen TÜV ausgestellte ISO-9000-Zertifikate.
 
Die meisten russischen Software-Produktionsfirmen sind Neugründungen aus den Aufbaujahren nach der großen russischen Konjunkturflaute im Jahre 1998. Damit hat sich das Bild im Vergleich zu den ersten Jahren nach dem Ende der Sowjetunion völlig geändert, erläuterte auf der SYSTEMS Valeri Bulatoff von der drei Jahre alten St. Petersburger Firma Artezio.

<b>Moderner Führungsstil und flexibles Reaktionsvermögen</b>

Während in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts vor allem die Entwicklungsabteilungen der alten sowjetischen Staatskonzerne sich als Systemintegratoren und Offshore-Softwareentwickler am freien Markt versuchten,  gebe es seit drei, vier Jahren ganz neue Geschäftsmodelle in Russland, sagte Bulatoff.

Im Mittelpunkt dieser neuen Welle stünden Firmen mit durchschnittlich 50 bis 100 Mitarbeitern, die meist von jungen Hochschulabsolventen gegründet worden seien. In diesen Firmen würde sehr viel Wert auf modernen Führungsstil, flexible Reaktionen auf Kundenwünsche, hohe Spezialisierung und Qualitätsmanagement gelegt. Die positive Auswirkung von letzterem zeigten sich unter anderem in der hohen Zahl von Top-Zertifizierungen russischer Firmen.

Mittlerweile habe sich, so Bulatoff weiter, die Szenerie gegenüber der Zeit vor zehn Jahren geradezu umgedreht. Die alten Systemintegratoren der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts orientierten sich an den Youngstern: so gründeten sich immer mehr Firmen neuen Typs aus den alten Unternehmen aus.

Im Prinzip decken die besten der russischen Softwarefirmen den gesamten Entwicklungszyklus ab, von der Anforderungsanalyse bis zur Codierung und zum Aufspielen auf das System. Das ist die Entwicklungsseite. Mittlerweile betreiben einige Firmen, zumindest für US-amerikanische Auftraggeber, aber auch schon ausgelagerte Geschäftsprozesse auf der Basis vertraglich genau fixierter Service-Level, sagt Sergej Rjaboff von der Moskauer Firma Auriga, der als ‘Director of Development’ in Amherst an der amerikanischen Ostküste sitzt.

<b>Auslagerung kompletter Geschäftsprozesse</b>

Es sollte nicht verwundern, wenn russische Firmen demnächst vermehrt den Betrieb vollständiger Geschäftsprozesse von Moskau, St. Petersburg oder Jekatarinburg anbieten. “Die deutschen Unternehmen sollten sich schnell mit den russischen Softwareentwicklern auf eine vernünftige Arbeitsteilung verständigen”, rät Alexander Jegoroff von Reksoft. “Die Deutschen machen die systemanalytische Seite, die Russen entwickeln dann die Software”, wäre sein Vorschlag für den Standardfall, denn dann “bleiben in Deutschland genügend Expertise und Arbeitsplätze”.

Jegoroff lässt aber keinen Zweifel, dass die russischen Informatiker auch die Analyseseite übernehmen könnten. “Wenn die Deutschen nicht aufpassen, wird genau das passieren, immerhin sind wir nicht nur zumindest gleich gut, sondern für die nächsten fünf bis sieben Jahre noch ein bisschen preiswerter”, warnt er.

Die russischen Softwerker sind nicht nur gut, weil die Mathematik- und Informatikausbildung in Russland (und natürlich auch in der Ukraine, Weißrussland und den asiatischen Staaten der ehemaligen Sowjetunion) traditionsgemäß sehr gut ist und weil die Absolventen hochmotiviert sind, sondern auch weil sie mittlerweile westliches Management gelernt haben. Nicht zuletzt von den Rückkehrern aus Westeuropa, Japan und Nordamerika.

“Nachdem wir in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts einen ziemlichen Aderlass an Spitzeninformatikern in Richtung Nordamerika und Europa verkraften mussten, kommen jetzt eine ganze Menge dieser Leute wieder zurück”, erzählt Alexander Jegoroff. Und die Heimkehrer bringen genau das mit, was vielen russischen Softwarefirmen bisher noch ein bisschen fehlte: Geschäftstüchtigkeit und Kapital.