Die CeBIT zwischen Verzicht, Glamour und Mittelstand

“Unspezifisches Großereignis”, “Wald- und Wiesenmesse” oder Pflichttermin – an der CeBIT scheiden sich immer öfter die Geister.

“Die CeBIT bietet uns leider nicht mehr die Attraktivität einer IT-Fachmesse. Die Besucherzahlen sind seit 2002 um knapp 40 Prozent gesunken und darüber hinaus hat sich die Struktur der Besucher stark gewandelt, vom IT-Fachbesucher hin zum Endverbraucher” – das sind klare Worte von IFS-Deutschlandchef Wilfried Gschneidinger, der damit den Rückzug des ERP-Spezialisten (Enterprise Ressource Planning) aus Hannover begründet. “Wer die oberste Management-Ebene ansprechen will, setzt auf eine etablierte Leitmesse”, sagt dagegen CeBIT-Messevorstand Ernst Raue im Interview mit silicon.de. Fest steht, die CeBIT steckt Mitten in einem tiefgreifendem Wandel.

Auch in diesem Jahr sind auf Raues Schreibtisch wieder einige Absagen geflattert, so manch eine hat “sehr weh getan”, sagt er und meint damit vor allem das Wegbleiben des Elektronikkonzerns Philips. Unter den prominenten Namen auf der Absageliste für dieses Jahr ist auch Peoplesoft, schon teilweise seit Jahren ohne eigenen Stand in Hannover sind Oracle, Apple, Computer Associates oder HP. Obwohl das auf den ersten Blick manchmal gar nicht auffällt.

Oracle beispielsweise hat sich schon vor vier Jahren von der CeBIT zurückgezogen – damit jedoch die Anwendergemeinde nicht ohne Sammelpunkt durch die Messehallen irrt, ist die ‘Deutsche Oracle-Anwendergruppe’ (DOAG) eingesprungen. Sie hat einen 400-Quadratmeter-Stand gemietet, der häppchenweise an Partner untervermietet wird. “Dabei wird so kalkuliert, dass das Ganze kostendeckend läuft, wir kommen immer ungefähr bei Plus/Minus Null raus”, sagte DOAG-Sprecher Wolfgang Taschner. “Die Partner sind zufrieden, jeder der Oracle sucht, landet am DOAG-Stand.”

Oracle hat das Engagement immer wohlwollend gebilligt, in diesem Jahr ist der Konzern erstmals noch weiter gegangen und hat DOAG-Werbeflyer an seine Kunden verschickt. Sollte sich Oracle irgendwann entscheiden, wieder selbst auf die CeBIT zu gehen, würde sich die DOAG zurückziehen, sagt Taschner. Der Verband springt hier sozusagen nur als Lückenbüßer ein.

Asiatischer Einfluss wird stärker

Auch Hewlett-Packard (HP) taucht lediglich an Partnerständen auf, der Konzern selbst ist jedoch im zweiten Jahr in Folge nicht vertreten. Zur Begründung nennt Norbert Gelse, Leiter der HP-Unternehmenskommunikation, ein häufiges Argument: Wechsel der Marketing-Strategie. Im deren Mittelpunkt steht nach Gelses Worten der verbesserte Kontakt mit den Anwendern, sprich bei Hausmessen und exklusiven Kundenveranstaltungen. “Wir haben keinen Kunden verloren, weil wir nicht auf der CeBIT sind, das spielt keine große Rolle bei der Kundenbeziehung”, sagt Gelse. “Wir haben die direkte Kundenansprache durch unseren Strategiewechsel verbessert.” Dabei gebe es aber keinen direkten Zusammenhang mit der CeBIT, fügt er eilig hinzu.

Deutlicher wird die Oracle-Braut Peoplesoft. “Bereits im vergangenen Jahr mussten wir feststellen, dass die Zeit für unspezifische Großereignisse wie die CeBIT vorbei ist. Ihr orientierungsloser ‘All-you-can-see-and-eat-in-it’-Ansatz deckt sich einfach nicht mehr mit dem Informationsbedürfnis unserer Kunden”, sagt der zuständige Marketing-Chef Dieter Roskoni.

Messechef Ernst Raue verweist an dieser Stelle auf Unternehmen, die nach einiger Zeit der Abstinenz mit eigenem Stand zur CeBIT zurückkehren – NTT DoCoMo beispielsweise oder Sanyo Fisher. Die beiden japanischen Firmen spiegeln einen klaren Trend wieder. Vor allem aus dem asiatischen Raum strömen die Aussteller nach Hannover. Rund 1600 Firmen aus Asien/Pazifik haben sich angemeldet, Raue spricht deshalb auch gerne von der größten asiatischen Messe des gesamten Jahres. Führende ausländische Nation in Hannover ist Taiwan mit rund 770 Unternehmen, es folgt China mit 250 und die USA mit gut 200.

“Allein, was den Kontakt zu potentiellen Kunden aus dem Ausland betrifft, ist die CeBIT unschlagbar”, sagt Raue deshalb. “Besonders wichtig für die CeBIT-Aussteller sind dabei Gespräche mit Managern der Wachstumsregionen, die sich als künftige Geschäftspartner anbieten.” Die Zeiten, in denen die CeBIT auch bei US-Bossen rot im Terminkalender angestrichen war, sind allerdings vorbei. Microsofts Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Gallmann hatte in der herbstlich-hitzigen Debatte um eine Teilnahme des Konzerns gar von einer “Wald- und Wiesenmesse” gesprochen. Da schritt sogar CEO Steve Ballmer persönlich ein. Microsoft kommt. Was bleibt, ist ein fader Nachgeschmack.

Der lange Weg zum Kunden

Wie die Termin- und Mitteilungsflut in den Wochen vor der Messe ganz deutlich zeigt, rückt auch die Präsentation von Produktneuheiten immer mehr in den Hintergrund. “Früher haben Firmen auch was Neues rausgebracht, heute geht es mehr um die Darstellung einer Firma und darum zu zeigen, was man den Kunden bietet”, so DOAG-Sprecher Taschner.

Dabei geht es in erster Linie um die Kunden, die man schon kennt. 41 Prozent antworten bei einer silicon.de-Umfrage auf die Frage ‘Was erwarten Sie von der diesjährigen CeBIT?’ mit ‘Pflege meiner Kontakte’. Nur 18,5 Prozent machten dagegen ihr Kreuzchen bei ‘Neue Kundenkontakte’ und gut acht Prozent bei ‘Neue Geschäftskontakte’. Wenn sich also ein Unternehmen – wie beispielsweise bei HP und Peoplesoft geschehen – sich entscheidet, seine Kunden anderweitig bei der Stange zu halten, hat die CeBIT schnell das Nachsehen. Auch das zunehmende Mischmasch aus Consumer-Elektronik und professionellen Business-Lösungen liegt manchen Ausstellern schwer im Magen.

“Wir müssen unseren Kunden mehr als in der Vergangenheit transparent machen, dass sich die Messebeteiligung in konkreten neuen Kundenkontakten und Geschäftsabschlüssen niederschlägt”, sagt deshalb der Vorsitzende des Vorstands der Deutschen Messe AG, Sepp Heckmann. “Dieses Kriterium ist heute entscheidend für eine Messebeteiligung der Unternehmen.”

Weil sich vor allem der Mittelstand von diesem Dschungel der CeBIT-Angebote verwirren lässt, genau dieses Klientel aber von allen Seiten immer stärker umworben wird, hat man sich in Hannover etwas einfallen lassen. “Wir nehmen die Mittelständler an die Hand und helfen ihnen, einfache und passende Lösungen zu finden, in einer Sprache, die sie auch verstehen”, so Raue. Zudem gibt es für diese Zielgruppe eine eigene Internetplattform.

Solche und ähnliche Ansätze machen deutlich, dass man in der CeBIT-Chefetage die Probleme und den Handlungsbedarf rund um die Messe längst erkannt hat – auch wenn diese beiden Wörter offiziell nie über die Lippen der Verantwortlichen kommen würden. “Wir sehen, dass es von Seiten der CeBIT-Leitung Überlegungen gibt, neue Wege einzuschlagen”, sagt auch HP-Sprecher Gelse. “Wir sind dafür offen, diesen Weg mitzugestalten und haben einen guten Kontakt zur Messeleitung. Wir glauben, der Strategiewechsel hat schon begonnen.”