Daniel Fallmann

ist Gründer und Geschäftsführer des Enterprise-Search-Spezialisten Mindbreeze.

Führt Big Data automatisch zu Big Brother?

Big Data Experte Daniel Fallmann sieht Chancen aber auch Risiken bei den neuen Möglichkeiten, die sich durch die Auswertung von großen Datensätzen ergeben. Als Anbieter von entsprechenden Lösungen sieht er sich in einer besonderen Verantwortung.

Big Data ist – auf den Punkt gebracht – die Kunst, Beziehungen zwischen Informationen und Informationsobjekten zu erkennen und zu verstehen, die zuvor einfach bunt zusammengewürfelte Teile einer chaotischen Ansammlung von ungeheuren Datenmengen waren. Viktor Mayer-Schönberger (@Viktor_MS) hat in dem vor kurzem erschienenen Buch “Big Data. Die Revolution, die unser Leben verändern wird” mit zahlreichen Beispielen eindrucksvoll beschrieben, was es bedeuten kann, derartige Korrelationen aufzuspüren.

Beispiel: die amerikanische Discounthandelskette Target, deren Baby-Geschenk-Abteilung sich das Ziel gesetzt hatte, möglichst früh zu erkennen, wann eine Kundin schwanger war. Die Big Data-Experten des Unternehmens stellten schnell fest, dass das Kaufverhalten mit dem Eintritt in die neue Lebensphase spezifische Muster aufweist, und konnten zwei Dutzend Produkte identifizieren, die zusammengenommen quasi als Frühwarnsignale für Schwangerschaften dienten – von der parfümfreien Lotion bis zum Magnesium als Nahrungsergänzungsmittel. Eine unerwünschte Folge dieser Erkenntnis war, dass Kundinnen mitunter Baby-Geschenke bekamen, noch bevor sie ihre Familien von ihrer Schwangerschaft informierten. Big Data – manchmal schneller als das Leben.

Dieses kleine Beispiel zeigt nicht nur die bis dato ungeahnten Möglichkeiten von Big Data-Methoden, sondern wirft auch ein Licht auf die dunkle Seite dieser neuen Technologie. Vom gläsernen Kunden spricht man schon lange, mit Big Data bleiben selbst höchst private Dinge wie eine Schwangerschaft einem Marketingexperten, der es versteht, professionell mit den neuen Werkzeugen zu spielen, nicht verborgen.

Was für einen Kunden gilt, gilt auch für Mitarbeiter in einem Unternehmen. Big Data hilft auf der einen Seite, etwa prozessuale Schwachstellen in Unternehmen aufzuspüren und zu eliminieren. Damit steigen die Effizienz und der Gewinn. Auf der anderen Seite wäre es technisch ohne größeren Aufwand möglich, Mitarbeiter lückenlos zu beobachten und entsprechende Maßnahmen zu setzen. Damit wäre der Schritt von Big Data zu Big Brother nur mehr ein kleiner.

Ist Big Data nun eher Fluch oder Segen?

Genau dieses Spannungsfeld zwischen Nutzen und Risiko der neuen Technologie beschreibt das Kunstwort “Datability”, das zum Leitthema der diesjährigen CeBIT erkoren wurde. Es umfasst die Aspekte “Ability”, also die Fähigkeit, mit Daten umzugehen, als auch “Responsibility”, sprich die Verantwortung dafür, wie mit diesen Daten umgegangen werden soll.

Als Gründer und Geschäftsführer der Firma Mindbreeze, das sich auf ein wesentliches Big Data-Thema, nämlich Enterprise Search, spezialisiert hat, führe ich immer wieder Kundengespräche, die Datability in der einen oder anderen Form zum Inhalt haben. In so gut wie jedem Unternehmen gibt es die beiden Fraktionen, die Big Data entweder in den Himmel heben oder verteufeln. Während die Fachabteilungen wie Vertrieb, Human Resources oder Forschung und Entwicklung vor allem die Chancen sehen, die sich mit Big Data auftun, sind es in größeren Unternehmen in erster Linie die Betriebsräte, die sich kritisch äußern und vor Big Brother warnen.

Ich finde diese Gespräche äußerst interessant, weil sie grundsätzliche Fragen aufwerfen, Fragen darüber, wie wir mit Technologie generell umgehen sollen. Diese Fragen betreffen nicht nur mich als Hersteller von intelligenten Big Data-Lösungen, sondern auch als Unternehmenskunde, als Privatperson und auch als Familienvater. Und egal, aus welchem Blickwinkel man die Sache betrachtet: Unterm Strich steht immer die Verantwortung in allen möglichen Ausprägungen im Mittelpunkt.

In Westeuropa ist man es gewohnt – viel mehr als in den USA oder Asien –, die Verantwortung für das eigene Wohlergehen in staatliche Hände zu legen. Natürlich ist der gesetzliche Rahmen, hier sind vor allem die Datenschutzgesetze zu nennen, ein essenzieller Baustein für ein sicheres und erträgliches Zusammenleben, doch spätestens seit Big Data sind neue Ansätze gefragt. Denn die Entwicklung der Möglichkeiten – Stichwort Wiederverwendung von personenbezogen Daten – geht derart rasant über die Bühne, dass die Gesetzgebung zunehmend hilflos hinterherhinkt. Das ist einer der Gründe, warum Experten wie der eingangs erwähnte Viktor Mayer-Schönberger ein System fordern, bei dem die Last der Verantwortung von den Betroffenen auf die Datennutzer verlagert wird. Mit anderen Worten: Ein Unternehmen, das personenbezogene Daten verwenden will, muss selbst Nutzen und Risiken für die Betroffenen abwägen und dafür die Verantwortung übernehmen.

Ein zweiter Aspekt, der der verantwortungsvollen Nutzung von Daten unter die Arme greift, ist die Anonymisierung von personenbezogenen Informationen, eine Funktion, die bei unseren Lösungen Standard ist. Damit lassen sich etwa Flaschenhälse in Geschäftsprozessen aufspüren, ohne Gefahr zu laufen, in den Augen des Betriebsrats als Spion der eigenen Mitarbeiter dazustehen. Natürlich müssen zu jedem Zeitpunkt die Zugriffsrechte der Datenquellen gewahrt bleiben, das ist essentiell.

Ein zentraler Aspekt beim Thema Datability ist für mich die Eigenverantwortung. Diese beginnt beim Verhalten als Privatperson auf Social Media-Plattformen oder bei Abfragen in Online-Suchmaschinen. Es ist erstaunlich, wie viele höchst private Informationen Menschen über sich und ihre Familien in Facebook & Co oder einfach durch Suchabfragen in Google & Co freiwillig preisgeben. Diverse Schwangerschaften gehören zur Freude diverser Baby-Geschenk-Abteilungen zum Allgemeingut.

Die Eigenverantwortung spielt auch bei der Wahl des optimalen Geschäftspartners eine fundamentale Rolle, wenn es darum geht, seine Unternehmensdaten etwa in die Hände eines Public Cloud-Anbieters zu legen. Natürlich behauptet jeder, dass er mit seinen Kundendaten vertrauensvoll umgehe. Doch nur der Anbieter, der sich dies von unabhängiger Seite bestätigen lässt, kann dies mit gutem Gewissen tun. Das ist der Grund, warum wir unsere Cloud-Lösung unter anderem einer Prüfung durch den renommierten TÜV Rheinland unterzogen haben.

Der Begriff Datability fasst all die hier beschriebenen Aspekte zusammen: Es geht nicht darum, das zu tun, was mit Big Data technisch möglich ist, sondern dort haltzumachen, wo die Grenzen der Verantwortung liegen.