Oliver Tuszik

ist CEO und Vorstandsvorsitzender des IT-Dienstleisters Computacenter sowie Mitglied im Bitkom-Präsidium.

Wie Deutschland wirklich arbeiten will

Was ist dran an der digitalen Kluft in Unternehmen? Sind junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tatsächlich um so vieles offener für die schöne neue Web-2.0-Welt als ihre Kolleginnen und Kollegen aus den älteren Semestern? Überraschende Einblicke hierzu liefert eine aktuelle Emnid-Umfrage.

Danach ist von der viel beschworenen Kluft selbst mit einer Lupe wenig zu erkennen. Die Umfrageergebnisse lassen zudem den Schluss zu, dass undifferenzierter Einsatz von Smartphones, Twitter & Co. ein Unternehmen nicht automatisch effizienter und agiler macht. Neue Kommunikationstools und soziale Plattformen sind stattdessen sorgsam im Licht der konkreten Geschäftsprozesse und der Mehrwerte für die Mitarbeiter auszuwählen. Sie müssen zur Kultur des Unternehmens passen. Und die Mitarbeiter gehören von Anfang an mit ins Boot.

Digital Natives sind eine “Spezies”, die von Analysten und Medien derzeit gerne ins Visier genommen wird. Die Rede ist von jungen Menschen, die mit dem Internet groß geworden sind und deren Lebensstil massiv von iPods, Facebook und YouTube geprägt ist. Die digitale Generation ist inzwischen im Berufsleben angekommen und setzt – so heißt es oft – Unternehmen damit unter Zugzwang: Ohne Smartphones und ungehinderten Zugang zu Firmensystemen von überall her, ohne soziale Netzwerke wie Twitter, Xing und LinkedIn sei ein Arbeitgeber für hochqualifizierte junge Arbeitskräfte eher unattraktiv.

Unverzichtbar seien die neuen Technologien zudem, um auf den globalisierten Märkten im temporeichen Wettlauf um Innovationen schritthalten zu können. Nicht zuletzt zielt standortübergreifende Kommunikation per Web- und Videomeetings selbstverständlich auch auf nachhaltige Einsparungen bei Arbeitszeit und Reisekosten – was ebenfalls ein wettbewerbsrelevanter Faktor ist. Digital Natives wollen zeitgemäß ausgestattet werden – doch unterscheiden sie sich darin so sehr von den älteren Arbeitnehmern der Generation 50plus?

Souveräne Generation 50plus

Tatsächlich gibt es keinen Generationenkonflikt bei der Nutzung moderner Kommunikation im beruflichen Alltag: Die Generation 50plus unterscheidet sich in ihrer Affinität zu neuen Technologien weit weniger von den Digital Natives als gemeinhin angenommen. Dies bestätigt eine repräsentative Emnid-Studie im Auftrag von Computacenter. Befragt wurden rund 1000 Mitarbeiter und Führungskräfte aus Verwaltung, Marketing und Vertrieb sowie Personal-, IT- und Entwicklungsabteilungen. Klares Ergebnis der Studie: Die Generation 50plus wird stark unterschätzt.

Denn 79 Prozent dieser Altersgruppe begrüßen Innovationen und setzen neue Tools und Techniken unmittelbar im Arbeitsalltag ein. Auf die Frage, wie souverän sie mit Audio-, Video- und Webkonferenzen inklusive Chatfunktion umgehen, antworteten 76 Prozent der nach 1980 Geborenen: sehr sicher. Bei den über 50-Jährigen waren es 74 Prozent.

Gleich verhalten sich Jung und Alt auch bei der Verwendung von modernen Technologien und Social Media: So nutzen sowohl etwa ein Drittel (34 Prozent) der unter Dreißigjährigen als auch etwa ein Drittel (33 Prozent) der über Fünfzigjährigen Plattformen für den Wissensaustausch wie Wikis oder Foren häufig. Auch bei der beruflichen Nutzung von sozialen Netzwerken wie Xing, LinkedIn oder Facebook hängt die Generation Digital die Generation 50plus mit einer Nutzungsquote von 10 Prozent zu 6 Prozent nicht ab. Ein digitaler Graben zwischen den Generationen wird damit durch die Emnid-Zahlen widerlegt. Das ist ein deutliches Signal an den Arbeitsmarkt, auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und der Zuzugsdiskussion.

Erst die Prozesse und dann die Technik

Auffällige Unterschiede in der Haltung gegenüber neuen Technologien zeigen sich hingegen je nach Abteilungszugehörigkeit und Aufgabengebiet. So sind beispielweise zwölf Prozent der Mitarbeiter aus Forschung und Entwicklung eher unzufrieden mit der technischen Ausstattung ihres Arbeitsplatzes. In allen anderen Abteilungen liegt dieser Wert bei lediglich sieben Prozent. Interessant ist auch die sehr unterschiedliche Einschätzung, ob Social Media wie Wikis, Blogs und andere Community-Plattformen die tägliche Arbeit unterstützen kann: Quer durch alle Abteilungen sind 29 Prozent der Interviewten dieser Meinung. Den größten Zuspruch findet Social Media in Personalabteilungen mit 42 Prozent, während lediglich 18 Prozent der befragten Verwaltungsmitarbeiter hiervon eine Verbesserung ihrer Arbeit erwarten.

Die stark variierenden Zahlen verdeutlichen, dass es nicht sinnvoll ist, den Mitarbeitern soziale Plattformen ohne Rücksicht auf die konkreten Anforderungen “überzustülpen”. Das Gleiche gilt für alle anderen Collaboration-Tools und mobilen Endgeräte. Welche Technologie in welcher Ausprägung im Einzelfall einen messbaren Mehrwert verspricht, hängt entscheidend von den jeweiligen Geschäftsprozessen ab.

Weil der Analyse bestehender Abläufe und Kommunikationsstrukturen hierbei strategische Bedeutung zukommt, haben wir gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation das Beratungspaket ‘Communication & Collaboration Roadmapping’ geschnürt. Der Name ist Programm, denn die Beratung zielt nicht primär auf diese oder jene Technologie. Im Vordergrund steht vielmehr ein individueller, an der Spezifik eines Unternehmens ausgerichteter Masterplan für den Weg ins universell vernetzte Kollaborationszeitalter. Zu Recht wird diesem Zusammenhang von einer neuen Produktivitätswelle gesprochen, die nur mit der Ablösung von Schreibmaschinen durch PCs vergleichbar ist. Dieser Umbruch braucht nicht nur technologische Weichenstellungen, sondern vor allem kulturelle und organisatorische Veränderungen.

Fazit

Die Vision einer mobilen Arbeitswelt, in der virtuelle Kommunikation räumliche Entfernungen aufhebt, birgt zweifellos ein immenses Potenzial – im Hinblick auf Einzelunternehmen ebenso wie für die gesamte Volkswirtschaft. Doch auch technologische Trends und ihre Anwendung müssen in jedem Unternehmen individuell überprüft werden. Im Wettbewerb helfen keine Hype-Themen, sondern ausschließlich Mehrwerte, die aus dem planvollen Einsatz klug ausgewählter Technologien erwachsen.

Vor allem eines darf dabei nicht vergessen werden: Der Mensch steht im Zentrum der gegenwärtigen Transformation unserer Lebens- und Arbeitswelt. Seine Bedürfnisse und sein Kenntnisstand müssen folglich Anknüpfungspunkt für jede Veränderungsstrategie sein. In diesem Kontext beklagen 24 Prozent der von Emnid Befragten mangelnde Schulung, zum Beispiel bei neuen Softwareanwendungen. Und 27 Prozent fühlen sich nicht ausreichend informiert über Sinn und Zweck geplanter Innovationen. Der Handlungsbedarf ist offenkundig: Der Übergang zur Enterprise 2.0 erfordert Aufklärung, Motivation und professionelle Trainingsmaßnahmen.



  1. Richtig, es ist nicht eine Frage des Alters.
    Das kam auch auf der re:publica 2010 schon bei dem Vortrag von Prof. Dr. Peter Kruse zur Sprache. Es geht weniger um Digital Natives sondern um Digital Residents versus Digital Immigrants, also die Menschen, die neue Technologien akzeptieren und wenn sinnvoll adaptieren. Das hat weniger etwas mit dem Alter als vielmehr mit dem Interesse an Technologien und am Wandel zu tun. Denn auch eine Einpassung neuer Techniken in neue Prozesse benötigt eine gewisse Offenheit.