Ist Customer Experience mehr als ein Buzzword?

Worum geht es wirklich beim Thema Customer Experience? Um Kundenzufriedenheit oder Prozessoptimierung? Ein Interview mit Holger von Seherr-Thoss von moveXM.

 

Customer Experience ist nach meinem Gefühl, eines der großen Buzzwords in der IT-Branche.
Holger von Seherr-Thoss: Ich kann das in gewissem Maße verstehen, dass Sie die Empfindung haben, dass CX nicht unbedingt immer nur zum Besseren führt. Dieser Begriff hat tatsächlich um sich gegriffen, was aber viel mit der unklaren Definition zu tun. So soll der weltweite CX-Markt ungefähr bei 170 Milliarden US-Dollar liegen. Dazu werden aber auch Unternehmen wie Adobe oder Oracle gezählt und die Themen Marketing-Dienstleistungen und Marketing-Software. Alles ist mittlerweile unter dem Begriff CX zusammengefasst.
 
Ich habe als Kunde das Gefühl, dass mir das Customer Experience-Thema aber nicht viel bringen. Würden Sie widersprechen?
Bei uns kommt CX stark aus einem Marktforscheransatz und Qualitätsanspruchsdenken sowie der Idee, einen Management-Prozess zu unterstützen. Wir wollen also nicht nur messen und irgendwelche KPIs produzieren, damit irgendwer im Unternehmen über sich sagen kann: Wir sind ganz toll. Sondern uns geht es darum, vom Messen ins Verstehen und dann ins Handeln zu kommen. Dinge also zu verbessern, Aktionspläne aufzustellen und Maßnahmen auch tatsächlich umzusetzen.
 
Mein Gefühl ist aber, dass ich als Kunde immer mehr selbst machen soll, Customer Experience also bedeutet: Kunde, mach bitte. Damit wollen die Unternehmen Kosten und Prozesse einsparen. Und dann werde ich auch noch ständig befragt.
Was Sie beschreiben, ist tatsächlich ein Trend. Viel wird vom Unternehmen an den Kunden ausgelagert. Chatbots sind zum Beispiel heute noch eher ärgerlich als eine große Hilfe. Die alten Chatbots sind nichts anderes als – böse gesagt – ein simples Text-Adventure, was es seit Jahrzehnten gibt. Es liegen Entscheidungsbäume dahinter, die der Chatbot durchgeht. Sie werden durch diesen Entscheidungsbaum geführt und der Bot kann nicht wirklich flexibel reagieren. Die Erfahrung zeigt, dass eine vorher sehr hohe Kundenzufriedenheit, weil man bis dahin sehr viele Mitarbeiter eingesetzt hat, erst malzurückgeht. Daher müssen diese Chatbots auch durch Lernen verbessert werden. Was allerdings oft nicht gemacht wird.
 
Und dann diese ständigen Befragungen. Kaum bin ich mit meinem Auto aus der Werkstatt zurück, klingelt schon das Telefon?
Ich kann Sie beruhigen. Die Befragungen, die Sie jetzt in einer hohen Zahl bekommen, werden in Zukunft abnehmen. Es wird praktisch an jedem Kontaktpunkt mit dem Unternehmen die Customer Experience gemessen. Aber es wird abnehmen, dass man aktiv Fragen stellt, sondern es wird mehr analysiert, auf Stimmungen geachtet, um daraus Schlüsse zu ziehen. Das ist ein Trend, der sich ganz klar abzeichnet.
 
Was kommt stattdessen? Ich kann ja verstehen, dass Unternehmen irgendwie herausfinden wollen, was die Kunden über sie und ihre Produkte denken.
Mit unserer Plattform zum Beispiel lässt sich die Customer Experience nicht nur messen, sondern Unternehmen können damit Management-Prozesse aufsetzen. Man kann die verschiedenen Touchpoints, also die komplette Customer Journey erfassen und darstellen. Und man kann Kunden auch „entärgern“. Dabei kommt KI ins Spiel, die letztendlich hilft, unstrukturierte Daten zu strukturieren und zu verstehen. Und dann lassen sich mit der Software auch Prozesse aufsetzen, um eine Verbesserung zu implementieren, zu tracken und zu managen.
 
Wie sieht eine typische Customer Journey aus? Wahrscheinlich fängt er mit einem Besuch der Website an?
Ein erster Touchpoint ist klassischerweise meist der PoS oder ein Service. Beim Autokauf ist es zum Beispiel die Inspektion. Nach diesem Service folgt eine Kundenbefragung per E-Mail, SMS oder auch telefonisch. Dieser ganze Prozess dahinter lässt sich auf der Plattform festlegen und aussteuern.
 
Was aber nicht neu ist, da ich auch schon vor Jahrzehnten befragt wurde?
Früher ging es mehr um klassische Marktforschung mit ausgiebigen Fragebögen, die aber oft aus der internen Brille erstellt wurden. Heute fragt man den Kunden eher wenige einfache Fragen und gibt ihm dann aber über das Kommentartextfeld die Möglichkeit, das zu benennen, was ihn tatsächlich beschäftigt oder vielleicht gestört hat. Hier kommt die Plattform und KI ins Spiel, denn wir analysieren diese Textfelder. Unseren Kunden stellen wir diese Informationen auf Einzelfallebene dar. Ein Kunde hat sich vielleicht geärgert, ist unfreundlich behandelt worden. Darauf kann das Unternehmen direkt eingehen, den Kunden noch mal persönlich kontaktieren, um seine Verärgerung zu hinterfragen, sich zu entschuldigen und möglicherweise ein `Freundschaftsangebot´ zu machen.
 
Dem Kunden müsste das doch reichen?
Das mag sein, aber es hilft dem Unternehmen nicht, seine Prozesse zu verbessern. Daher geht es in die Analyse und die Betrachtung des breiten Feedbacks. Gibt es Themen, die die Kunden immer wieder benennen, wo es anscheinend Probleme im Prozess, mit dem Produkt oder dem Service gibt? Müssen wir unsere Mitarbeiter schulen, am Prozess etwas ändern, um langfristig besser zu werden. Solche Fragen stellen sich Unternehmen, die besseren Service und hochwertigere Produkte und Prozesse haben möchte.
 
Mich nerven solche Befragungen. Wie hoch ist denn die Teilnehmerquote? Nehmen nicht eher nur die teil, die verärgert sind?
Was Sie gerade beschreiben, ist ein typischer Fall, und einer der größten Herausforderungen, die wir haben. Ich habe verschiedene Kanäle, über die ich mit dem Kunden kommunizieren kann. Ich habe die Möglichkeit, ein kleines Briefchen zu geben mit QR-Code, eine E-Mail zu schicken, eine SMS oder WhatsApp, je nachdem mit was der Kunde am liebsten kommunizieren möchte. Die Herausforderung dabei ist, den Kunden so gut zu kennen, dass man genau den richtigen Kommunikationskanal nutzt, den der jeweilige Kunde haben möchten. Und das ist eine Entscheidung, die der Kundenbetreuer immer mit dem Kunden zusammentreffen muss. Dann melden sich auch nicht nur die verärgerten Kunden, sondern alle Kunden, die etwas mitteilen wollen, ob positiv oder negativ.
 
Meine Erfahrung, zum Beispiel mit dem Hersteller meines Autos, ist aber eher, dass ich angerufen werde, um die Werkstatt zu beurteilen, damit die gegebenenfalls ermahnt wird. Es geht dabei weniger um mich als Kunde.
Das mag sein, dass dies dahintersteckt. Aber es geht trotzdem in Richtung Customer Experience. Der Hersteller will wissen, wie seine Markenvertretungen, also die Werkstatt arbeitet. Und die Werkstatt hat natürlich das Interesse, dass Sie als Kunde möglichst zufrieden sind und positives Feedback hinterlassen. Daher würde ich das nicht so negativ sehen. Positiv lässt sich hervorheben, dass für das Unternehmen die Kundenwahrnehmung anscheinend relevant ist, und sie Systeme nutzen, um das zu messen. Unsere Erfahrung ist, dass im Durchschnitt rund 30 Prozent der Kontaktierten auf irgendeine Weise antworten.
 
Ob ich den Kunden anrufe, eine E-Mail schicke oder ihn über WhatsApp kontaktiere: Entscheidet das Ihre Plattform mit?
Mit der Plattform können Sie das einstellen. Man kann sagen, entweder alle Kunden über einen speziellen Kanal oder je nachdem, welche Kundendaten vorliegen, kann die Plattform auch auf Basis dieser Informationen und wie ein Kunde in der Vergangenheit kontaktiert wurde, Entscheidungen treffen. Das ändert sich auch gerade sehr stark. Klassisch war es bisher so, dass der Kunde eine Woche nach einem Event kontaktiert wird. Aber es zeigt sich deutlich, dass die Kunden selbst entscheiden wollen, wann und wie sie das Feedback geben möchten. Daher macht es Sinn, jeden Kontaktkanal für die Kunden offen zu lassen.
 
Wie lässt sich quantifizieren, dass das, was Ihre Kunden mit der Plattform tun, tatsächlich von Nutzen ist?
Es gibt verschiedene Ansätze, das zu quantifizieren. Nehmen Sie zum Beispiel ein Callcenter. Sie haben sehr viele unzufriedene Kunden, die anrufen. Das heißt, Sie brauchen eine gewisse Anzahl von Callcenter-Agenten. Haben Sie mehr zufriedene Kunden, haben Sie wahrscheinlich weniger Anrufe, und die Kosten für das Callcenter werden geringer. Ein zweites Beispiel: Sie haben 10.000 Kunden, von denen wechselt pro Jahr eine große Anzahl zu Wettbewerbern. Was heute immer einfacher für Verbraucher ist, insbesondere bei Versicherungen, bei Händlern und Shops und ähnlich einfachen Dienstleistungen. Wenn von den 10.000 Kunden, die einem Unternehmen im Schnitt 1.000 Euro pro Jahr einbringen, die Abwanderungsrate bei 5 Prozent liegt, verlieren Sie pro Jahr 500.000 Euro. Wenn Sie es schaffen, diese Abwanderungsrate durch eine höhere Zufriedenheit und Kundenbindung vielleicht auf 3 Prozent zu reduzieren, verlieren Sie nur 300.000 Euro Umsatz.
 
Werden neben dem Service-Feedback auch die Kommentare zum eigentlichen Produkt an die Hersteller zurückgespielt?
Das ist ein zentraler Punkt, bei dem die KI hilft. Nehmen wir das Beispiel Autohaus. Sie schreiben im Kommentar: Der Kaffee im Autohaus hat super geschmeckt. Der Verkaufsberater war total nett. Allerdings ist der Blinkerhebel nicht sonderlich gut erreichbar. Genau diese Antwort wird durch einen Prozess geschickt, der in der Lage ist, dieses unstrukturierte Feedback zu analysieren und dem Hersteller einen Hinweis zu geben. Diese Themen werden durch die KI strukturiert, kategorisiert, verschlagwortet und dann an die entsprechenden Stellen weitergegeben.
 
Damit ist garantiert, dass die Kundenkommentare auf irgendeine Weise wahrgenommen werden. Das ändert aber noch keine Prozesse?
Das Unternehmen hat die Herausforderung, diese Feedbacks nicht nur zu sammeln, sondern Prozesse zu implementieren, so dass diese Informationen an die richtigen Stellen in der Organisation gehen. Unsere Plattform kann diese Feedbacks automatisiert an die entsprechenden Abteilungen wiedergeben, die sie dann mit Zielen und Maßnahmen hinterlegt umsetzen können. Zum Beispiel sich anzuschauen, warum Kunden das Thema Blinkerhebel ansprechen.
 
 
Holger von Seherr-Thoss

ist CEO und Partner von moveXM und verantwortet die Themen Unternehmensführung, Marketing, Vertrieb und Fundraising. Zuvor hat er bei KPMG in der Unternehmensberatung gearbeitet und ursprünglich in der Werbung angefangen bei Ogilvy.